Werkstatt der Kulturen

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Werkstatt der Kulturen, 2012

Die Werkstatt der Kulturen war von 1993 bis 2019 ein Veranstaltungszentrum in Berlin.

Sie war die einzige Berliner Kultureinrichtung, die ihren Fokus auf Transkulturalität setzte und damit die Vielfalt migrantischer und minoritärer Kultur-, Kunst- und Aktionsformen abbildete. Das Haus wurde vom Senat von Berlin gefördert und war dort dem Bereich Integration und Migration zugeordnet. Die Werkstatt der Kulturen war als eingetragener Verein organisiert, die Trägerschaft lag beim Verein Brauerei Wissmannstraße e. V. Die Werkstatt wurde am 23. Oktober 1993 eröffnet und befand sich in der Wissmannstraße (heute Lucy-Lameck-Straße) im Ortsteil Neukölln, im Gebäude der ehemaligen Bergschloß-Brauerei.

Leitung

Dem ersten Geschäftsführer der Werkstatt wurde laut Berliner Zeitung im Januar 1994 nach rund sechs Monaten Tätigkeit vom Verein wegen „nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung“ gekündigt.[1] Von 1994 bis 2008 leitete der Kulturmanager Andreas Freudenberg die Werkstatt der Kulturen.[2]

Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin der Werkstatt war von 2008 bis 2019 Philippa Ebéné. Ebéné studierte Ethnologie und Volkskunde, arbeitete als Schauspielerin und PR-Consultant, gründete das Schauspielstudio für Berufsschauspieler forum für filmschauspiel e. V sowie das Schauspielensemble abok. Für ihre Leistungen als Geschäftsführerin der Werkstatt der Kulturen wurde sie 2010 mit dem Ehrenpreis des M Berlin Marketing Award ausgezeichnet, da sie mit der transkulturellen Ausrichtung des Hauses das liberale Image der Hauptstadt und somit den Standort Berlin stärkt.[3] Mit zahlreichen Eigenproduktionen und unterschiedlichen Festivals bildete die Werkstatt der Kulturen das kulturelle Schaffen und die Perspektiven von Berlinern aus über 180 Nationen ab.[4]

Veranstaltungsprogramm und Projekte

Nach eigener Darstellung stand die Werkstatt der Kulturen „wie keine andere Einrichtung in der Stadt für das Zelebrieren kultureller Differenz – es ist ihre Raison d’Être“.[5]

Eine der Hauptveranstaltungen der Werkstatt war bis 2014 der Berliner Karneval der Kulturen, der jedes Jahr von ungefähr als einer Million Menschen besucht wurde. Beim Karneval der Kulturen gibt es einen Straßenumzug am Pfingstsonntag, ein mehrtägiges Straßenfest, einen Kinderkarneval und diverse Partys. Beim Straßenumzug waren im Jahr 2012 rund 4800 Menschen beteiligt und 800 Künstler traten beim Straßenfest auf. Der Event spiegelte die Vielfältigkeit Berlins wider und wurde 1996 von der Werkstatt ins Leben gerufen. Zum Februar 2015 ging die Organisation des Berliner Karnevals der Kulturen in die Verantwortung von Kulturprojekte Berlin über.[6]

Laut einer Studie der Investitionsbank Berlin (IBB) aus dem Jahr 2011 beträgt das durch den Karneval der Kulturen erwirtschaftete zusätzliche Bruttoinlandsprodukt für den Zeitraum von fünf Jahren 53,2 Millionen Euro. „Jeder [in den Karneval der Kulturen] investierte Euro bringt das Fünffache an Einnahmen“ heißt es in der Studie. Neben Gastronomie und Hotellerie kommt die Veranstaltung auch dem Einzelhandel, anderen Kultureinrichtungen und Dienstleistern zugute. Zudem schafft bzw. erhält der Karneval der Kulturen 220 Arbeitsplätze in Berlin. Auch das Image der Hauptstadt profitiert immens von dem Straßenumzug. In den Medien ist der Karneval der Kulturen nicht nur bundesweit, sondern global vertreten und zeigt Berlin als junge, fröhliche und weltoffene Metropole und trägt damit maßgeblich zum Berlin-Hype bei.[7]

Neben dem Karneval der Kulturen wurden weitere Festivals organisiert, und unter anderem der Black History Month und das Festival Creole – Global Music Contest aus Deutschland. 2010/2011 gewannen die Bands Cyminology, Kavpersaz und Kellerkommando den bundesweiten Wettbewerb. In der Werkstatt selbst gibt es ganzjährig ein umfassendes Kulturprogramm, z. B. Konzerte, Theater, Tagungen oder Diskussionsrunden. Außerdem gab es regelmäßige Veranstaltungsreihen wie zum Beispiel die Konzertreihe World Wide Music, World Wide Cinema.

Geschichts- und Musikprojekt „1884“

Auf Einladung der Werkstatt fand im Februar 2010 in Berlin die Geschichtskonferenz „1884“ statt. Musiker afrikanischer Herkunft wurden zu Vorträgen, Filmvorführungen und Diskussionen zu den Themen Geschichte Afrikas vor der Kolonialinvasion, Sprachenpolitik in Afrika, Kolonialismus im Film und afrikanische Widerstandsbewegungen gegen die koloniale Unterwerfung eingeladen. Dieser historische, sprach-, kultur- und filmwissenschaftliche Input, sowie biografische Erfahrungen, bildeten die Grundlage für die Produktion der CD 1884.

Arbeitskreis Werkstatt Religionen und Weltanschauungen

Die Werkstatt Religionen und Weltanschauungen (WRW) ist ein offener Arbeitskreis zum Ausbau des interreligiösen Dialogs. Er wurde im Jahr 2000 von der Werkstatt der Kulturen gegründet, trifft sich regelmäßig einmal im Monat und publiziert die Ergebnisse. Darüber hinaus werden Fachtagungen ausgerichtet, die sich insbesondere an Lehrpersonal wenden. Es gibt jeweils ein dominierendes Jahresthema, das den Austausch bestimmt, wie „Religion und digitale Medienwelt“ (2012), „Glauben, Wissen, Fanatismus“ (2011) oder „Empathie, Mitgefühl, Nächstenliebe“ (2010). An dem Arbeitskreis wirken Menschen mit, die sich folgenden Religionen zuordnen oder darin Fachkenntnisse mitbringen: evangelisches, katholisches und serbisch-orthodoxes Christentum, sunnitischer und sufistischer Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus, Sikhismus, Baha’i, Neuheidentum und weltlicher Humanismus.[8]

Die WRW besteht auch nach Schließung der Werkstatt der Kulturen weiter, allerdings nicht mehr im selben Haus.

Ausstellungskonflikt 2009

Im September 2009 kam es zu einer mit breitem Medienecho begleiteten Auseinandersetzung um die Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“, die ursprünglich in der Werkstatt der Kulturen gezeigt werden sollte.

Träger und Finanzierung

Täger der Werkstatt der Kulturen war der Trägerverein „Brauerei Wissmannstrasse e. V.“. Von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa erhielt die Werkstatt bis Ende 2019 Zuwendungen zur Finanzierung ihrer Infrastruktur. Für einzelne Projekte und Programme wurden Drittmittel beantragt. Zudem erzielte die Werkstatt Einnahmen aus der Vermietung ihrer Räumlichkeiten.[9]

Der Berliner Senat schrieb im Sommer 2019 den Kulturstandort Wissmannstr. 32/Neukölln neu aus.[10]

Bergschloss-Brauerei

Die Gebäude der Bergschloss-Brauerei wurden von 1850 bis 1902 nach den Entwürfen der Architekten Hanner und Hering errichtet. Zu einer Pferdewechselstation mit Bierausschank und kleiner Brauerei kam 1867 ein Biergarten. Der Name Bergschloss-Brauerei wird seit 1875 verwendet. 1880 kaufte der Gastronom Rudolf Sternecker einen Teil des Geländes und eröffnete den Vergnügungspark Neue Welt.

1926 wird die Bergschloss-Brauerei durch die Löwenbrauerei – Böhmisches Brauhaus in Friedrichshain übernommen, nach 1952 gehörte sie als „Abteilung Bergschloss“ zur Schultheiss-Brauerei, die sie 1975 stilllegte.[11]

Die Gesamtanlage der Bergschloss-Brauerei steht unter Denkmalschutz. Von 1993 bis 2019 befand sich die Werkstatt der Kulturen in den ehemaligen Brauereigebäuden.

Neuausschreibung

Im Jahr 2019 wurde die Werkstatt der Kulturen als „Ausschreibung Kulturstandort Wissmannstr. 32 / Neukölln (bisher: Werkstatt der Kulturen)“ neu ausgeschrieben. Als Grund gab die Senatsverwaltung an, die Einrichtung solle „neu konzipiert“ und ihre „Ausstrahlung in die gesamte Stadt verbessert“ werden.[12] Bereits die Koalitionsvereinbarung 2016–2021 der rot-rot-grünen Landesregierung hatte die Neuausschreibung vorgesehen – als „Kultureinrichtung und Plattform für die vielfältige kulturelle Entwicklung Berlins“.[13] Am 14. März 2020 wurde das Zentrum durch den neuen Träger „Kultur NeuDenken“ (KND) unter dem Namen Oyoun (arabisch für Blicke oder Augen) neu eröffnet. Die Übernahme ging mit mehreren Auseinandersetzungen einher, unter anderem um die Übernahme bisheriger Mitarbeiter.[14][15]

Weblinks

Ehemalige Weblinks

Alle hier aufgeführten Links waren am 27. April 2021 nicht mehr erreichbar.

Einzelnachweise

  1. Antje Gragley: Keine Verständigung – Spannungen in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen. In: Berliner Zeitung
  2. global music academy (Memento des Originals vom 6. Oktober 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.global-music-academy.net
  3. Video-Interview mit Philippa Ebéné, Werkstatt der Kulturen
  4. „Wir brauchen für Vielfalt eine Quote“. In: die tageszeitung, 20. Oktober 2008
  5. Selbstdarstelung & Leitbild. Werkstatt der Kulturen, Juni 2015, abgerufen am 30. August 2019. S. 14.
  6. Karneval der Kulturen: Parade der Vielfalt in Berlin gerettet. In: Der Tagesspiegel. 6. Mai 2015, abgerufen am 4. Oktober 2019.
  7. Studie der Investitionsbank Berlin
  8. Werkstatt Religionen (Memento des Originals vom 21. Oktober 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.werkstatt-der-kulturen.de
  9. Über uns. Werkstatt der Kulturen. Kunst Kultur Aktion 2018. In: werkstatt-der-kulturen.de. 10. Juli 2019, abgerufen am 4. Oktober 2019.
  10. Neuköllner Kulturinstitution: Was hat der Senat gegen die Werkstatt der Kulturen? In: Tagesspiegel Online. 10. Juli 2019, abgerufen am 4. Oktober 2019.
  11. Bergschloss-Brauerei auf staedte-klamotten.com, abgerufen am 27. April 2021
  12. Ferda Ataman: Neuköllner Kulturinstitution: Was hat der Senat gegen die Werkstatt der Kulturen? In: tagesspiegel.de. 10. Juli 2019, abgerufen am 3. Juli 2022.
  13. Berlin gemeinsam gestalten. Koalitionsvereinbarung 2016–2021. In: berlin.de. Abgerufen am 3. Juli 2022. S. 117.
  14. Nina Breher, Madlen Haarbach: „Erbstreit“ bei der Werkstatt der Kulturen Intransparenz, Mitarbeiter nicht übernommen, Ideenklau. In: tagesspiegel.de. 12. März 2020, abgerufen am 3. Juli 2022.
  15. Susanne Memarnia: Nachfolger der „Werkstatt der Kulturen“: Der misslungene Neustart. In: taz.de. 13. März 2020, abgerufen am 3. Juli 2022.