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Eine Punktgruppe ist ein spezieller Typus einer Symmetriegruppe der euklidischen Geometrie, der die Symmetrie eines endlichen Körpers beschreibt. Alle Punktgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass es einen Punkt gibt, der durch alle Symmetrieoperationen der Punktgruppe wieder auf sich selbst abgebildet wird. Aufgrund des Neumannschen Prinzips bestimmt die Punktgruppe die makroskopischen Eigenschaften des Körpers. Weitere Aussagen lassen sich mit Hilfe der Darstellungstheorie gewinnen.

Verwendet werden die Punktgruppen:

Mathematische Grundlagen

Die Symmetrie eines Körpers wird mathematisch als Menge aller möglichen Symmetrieoperationen beschrieben (Symmetriegruppe). Mit Symmetrieoperationen sind dabei euklidische Bewegungen gemeint, die den Körper auf sich abbilden. Zu unterscheiden sind dabei

  • gerade Bewegungen, welche die Orientierung erhalten und
  • ungerade Bewegungen, welche die Orientierung umkehren, z. B. Spiegelungen an Ebenen.

Mögliche Symmetrieoperationen in Punktgruppen im dreidimensionalen, euklidischen Vektorraum sind die Symmetrieoperationen, die mindestens einen Fixpunkt besitzen:

sowie als Kombination daraus

Die Translation, die Schraubung und die Gleitspiegelung können nicht Elemente einer Punktgruppe sein, da sie keinen Fixpunkt besitzen.

Wenn man das Hintereinanderausführen von Symmetrieoperationen als additive Verknüpfung auffasst, erkennt man, dass eine Menge von Symmetrieoperationen eine (in der Regel nicht kommutative) Gruppe ist.

Es gibt

  • kontinuierliche Punktgruppen. Sie werden auch Curie-Gruppen genannt und bestehen aus
    • den Zylindergruppen (mit einer unendlichzähligen Drehachse) und
    • den Kugelgruppen (mit zwei unendlichzähligen Drehachsen);
  • diskrete Punktgruppen. Sie lassen sich einteilen in:
    • diskrete Punktgruppen mit maximal einer Drehachse mit einer Zähligkeit größer zwei. Sie können mit Spiegelebenen und zweizähligen Drehachsen kombiniert sein, dabei gibt es folgende Möglichkeiten:
Gruppe Gruppensymbol (Schönflies) Erläuterung
Drehgruppe Cn Eine n-zählige Drehachse
Cnv 1 Cn-Achse + n Spiegelebenen, die diese Achse enthalten (v: vertikale Spiegelebene)
Cnh 1 Cn-Achse + 1 Spiegelebene senkrecht zu dieser Achse (h: horizontale Spiegelebene)
Diedergruppe Dn 1 Cn-Achse + n C2-Achsen senkrecht dazu
Dnd 1 Dn-Achse + n Spiegelebenen, die die Dn-Achse und eine Winkelhalbierende der C2-Achsen enthalten (d: diagonale Spiegelebene)
Dnh 1 Dn-Achse + 1 Spiegelebene senkrecht dazu
Drehspiegelgruppe Sn 1 n-zählige Drehspiegelachse
Für einzelne dieser Gruppen gibt es spezielle Bezeichnungen:
  • ( Spiegelung)
  • ( Inversion, d. h. Punktspiegelung)
  • diskrete Punktgruppen mit mindestens zwei Drehachsen mit einer Zähligkeit größer zwei. Sie entsprechen den Symmetriegruppen der platonischen Körper:

Punktgruppen in der Kristallographie

Die vollständige mögliche Symmetrie einer Kristallstruktur wird mit den 230 kristallographischen Raumgruppen beschrieben. Hier kommen zusätzlich zu den Symmetrieoperationen der Punktgruppen auch Translationen in Form von Schraubungen und Gleitspiegelungen als Symmetrieoperationen vor.

Dagegen genügen zur Beschreibung der Symmetrie eines makroskopischen Einkristalls die Punktgruppen, da es sich bei Kristallen stets um konvexe Polyeder handelt und mögliche interne Translationen in der Struktur makroskopisch nicht erkennbar sind. Streicht man also in einer Raumgruppe alle Translationen und ersetzt zusätzlich die Schraubenachsen durch entsprechende Drehachsen sowie die Gleitspiegelebenen durch entsprechende Spiegelebenen, so erhält man die geometrische Kristallklasse oder Punktgruppe des Kristalls.

Als Kristallklassen bzw. kristallographische Punktgruppen kommen daher nur diejenigen dreidimensionalen Punktgruppen in Frage, deren Symmetrien mit einem dreidimensional unendlich ausgedehnten (Kristall-)Gitter vereinbar sind. Dies ist bei den Punktgruppen der Fall, in denen keine oder ausschließlich 6-, 4-, 3- und/oder 2-zählige Drehachsen vorkommen (Drehungen um 0, 60, 90, 120 bzw. 180 Grad und jeweils Vielfache davon). Insgesamt gibt es von diesen speziellen Punktgruppen die folgenden 32 Stück:

Die 32 kristallographischen Punktgruppen (Kristallklassen)

Punktgruppe (Kristallklasse) Physikalische Eigenschaften[Anm. 1] Beispiele
Nr. Kristall­system Name Symbol Laue­gruppe Zuge­hörige Raum­gruppen (Nr.) En­an­tio­mor­phie Op­ti­sche Ak­ti­vi­tät Py­ro­elekt­ri­zität Pi­ezo­elekt­ri­zität; SHG-Effekt
Schoen­flies Hermann-Mauguin
(International)
Lang Kurz
1 triklin triklin-pedial C1 1 1 1 1 + + +
[uvw]
+ Abelsonit
Axinit
2 triklin-pinakoidal Ci (S2) 1 1 2 Albit
Anorthit
3 monoklin monoklin-sphenoidisch C2 121 bzw. 112 2 2/m 3–5 + + +
[010] bzw. [001]
+ Uranophan
Halotrichit
4 monoklin-domatisch Cs (C1h) 1m1 bzw. 11m m 6–9 + +
[u0w] bzw. [uv0]
+ Soda
Skolezit
5 monoklin-prismatisch C2h 12/m1 bzw. 112/m 2/m 10–15 Gips
Kryolith
6 ortho­rhombisch orthorhombisch-disphenoidisch D2 (V) 222 222 mmm 16–24 + + + Austinit
Epsomit
7 orthorhombisch-pyramidal C2v mm2 mm2 25–46 + +
[001]
+ Hemimorphit
Struvit
8 orthorhombisch-dipyramidal D2h (Vh) 2/m2/m2/m mmm 47–74 Topas
Anhydrit
9 tetragonal tetragonal-pyramidal C4 4 4 4/m 75–80 + + +
[001]
+ Pinnoit
Percleveit‑(Ce)
10 tetragonal-disphenoidisch S4 4 4 81–82 + + Schreibersit
Cahnit
11 tetragonal-dipyramidal C4h 4/m 4/m 83–88 Scheelit
Baotit
12 tetragonal-trapezoedrisch D4 422 422 4/mmm 89–98 + + + Cristobalit
Maucherit
13 ditetragonal-pyramidal C4v 4mm 4mm 99–110 +
[001]
+ Lenait
Diaboleit
14 tetragonal-skalenoedrisch D2d (Vd) 42m bzw. 4m2 42m 111–122 + + Chalkopyrit
Stannit
15 ditetragonal-dipyramidal D4h 4/m2/m2/m 4/mmm 123–142 Rutil
Zirkon
16 trigonal trigonal-pyramidal C3 3 3 3 143–146 + + +
[001]
+ Carlinit
Gratonit
17 rhomboedrisch C3i (S6) 3 3 147–148 Dolomit
Dioptas
18 trigonal-trapezoedrisch D3 321 bzw. 312 32 3m 149–155 + + + Quarz
Tellur
19 ditrigonal-pyramidal C3v 3m1 bzw. 31m 3m 156–161 +
[001]
+ Turmalin
Pyrargyrit
20 ditrigonal-skalenoedrisch D3d 32/m1 bzw. 312/m 3m 162–167 Calcit
Korund
21 hexagonal hexagonal-pyramidal C6 6 6 6/m 168–173 + + +
[001]
+ Nephelin
Zinkenit
22 trigonal-dipyramidal C3h 6 6 174 + Penfieldit
Laurelit
23 hexagonal-dipyramidal C6h 6/m 6/m 175–176 Apatit
Zemannit
24 hexagonal-trapezoedrisch D6 622 622 6/mmm 177–182 + + + Hochquarz
Pseudorutil
25 dihexagonal-pyramidal C6v 6mm 6mm 183–186 +
[001]
+ Wurtzit
Zinkit
26 ditrigonal-dipyramidal D3h 6m2 bzw. 62m 6m2 187–190 + Bastnäsit
Benitoit
27 dihexagonal-dipyramidal D6h 6/m2/m2/m 6/mmm 191–194 Graphit
Magnesium
28 kubisch tetraedrisch-pentagondodekaedrisch T 23 23 m3 195–199 + + + Ullmannit
Natriumbromat
29 disdodekaedrisch Th 2/m3 m3 200–206 Pyrit
Kalialaun
30 pentagon-ikositetraedrisch O 432 432 m3m 207–214 + + Maghemit
Petzit
31 hexakistetraedrisch Td 43m 43m 215–220 + Sphalerit
Sodalith
32 hexakisoktaedrisch Oh 4/m32/m m3m 221–230 Diamant
Kupfer
  1. Bei den Angaben zu den physikalischen Eigenschaften bedeutet:
    “ aufgrund der Symmetrie verboten
    +“ erlaubt.
    Über die Größenordnung der optischen Aktivität, Pyro- und Piezoelektrizität sowie des SHG-Effekts kann rein aufgrund der Symmetrie keine Aussage getroffen werden; man kann aber davon ausgehen, dass stets eine zumindest schwache Ausprägung der Eigenschaft vorhanden ist.
    Für die Pyroelektrizität ist, sofern vorhanden, auch die Richtung des pyroelektrischen Vektors angegeben.

Anmerkungen

Der Zusammenhang zwischen der Raum- und der Punktgruppe eines Kristalls ergibt sich folgendermaßen: Die Menge aller Translationen einer Raumgruppe bilden einen Normalteiler von . Die Punktgruppe des Kristalls ist diejenige Punktgruppe, die zur Faktorgruppe isomorph ist. Die Punktgruppe beschreibt die Symmetrie eines Kristalls am Gamma-Punkt, d. h. seine makroskopischen Eigenschaften. An anderen Stellen der Brillouinzone wird die Symmetrie des Kristalls durch die Sterngruppe des entsprechenden Wellenvektors beschrieben. Diese sind für Raumgruppen, die zur selben Punktgruppe gehören, in der Regel verschieden.

Das „Verbot“ von 5-, 7- und höherzähligen Drehachsen gilt nur für dreidimensional-periodische Kristalle; dagegen kommen sowohl bei Molekülen als auch bei Festkörpern in den Quasikristallen solche Drehachsen vor. Bis zur Entdeckung der Quasikristalle und der darauf folgenden Neudefinition des Begriffs Kristall war das Verbot als für Kristalle universell gültig angenommen worden.[1]

Das Beugungsbild von Kristallen bei Strukturanalysen mithilfe der Röntgenbeugung enthält gemäß dem Friedelschen Gesetz in Abwesenheit anomaler Streuung immer ein Inversionszentrum. Daher können Kristalle aus den Beugungsdaten nicht direkt einer der 32 Kristallklassen zugeordnet werden, sondern nur einer der 11 zentrosymmetrischen kristallographischen Punktgruppen, die auch als Lauegruppen bezeichnet werden. Durch die Identifikation der Lauegruppe ist auch die Zugehörigkeit des Kristalls zu einem der sieben Kristallsysteme geklärt.

Punktgruppen in der Molekülphysik

Punktgruppen und Molekülsymmetrie
Schoenflies Hermann-Maugin Symmetrieelemente Molekülbeispiele
Punktgruppen geringer Symmetrie
C1 I/E = C1 CHFClBr, SOBrCl
Cs ≡ S1 σ ≡ S1 BFClBr, SOCl2
Ci ≡ S2 i ≡ S2 1,2-Dibrom-1,2-Dichlorethan, meso-Weinsäure
ebene Drehgruppen SO(2)
C2 C2 H2O2, S2Cl2
C3 C3 Triphenylmethan, N(GeH3)3
C4 C4
C5 C5 15-Krone-5
C6 C6 α-Cyclodextrin
Drehgruppen mit vertikalen Spiegelebenen
C2v ≡ D1h C2, 2σv H2O, SO2Cl2, o-/m-Dichlorbenzol
C3v C3, 3σv NH3, CHCl3, CH3Cl, POCl3
C4v C4, 4σv SF5Cl, XeOF4
C5v - C5, 5σv Corannulen, C5H5In
C6v C6, 6σv Benzol-hexamethylbenzol-chrom(0)
C∞v - C, ∞σv lineare Moleküle wie HCN, COS
Drehgruppen mit horizontalen Spiegelebenen
C2h ≡ D1d ≡ S2v C2, σh, i Oxalsäure, trans-Buten
C3h ≡ S3 C3, σh Borsäure
C4h C4, σh, i Polycycloalkan C12H20
C6h C6, σh, i Hexa-2-propenyl-benzol
Drehspiegelgruppen
S4 S4 12-Krone-4, Tetraphenylmethan, Si(OCH3)4
S6 ≡ C3i S6 18-Krone-6, Hexacyclopropylethan
Diedergruppen
D2 ≡ S1v 3C2 Twistan
D3 C3, 3C2 Tris-chelatkomplexe
D4 C4, 4C2 -
D6 C6, 6C2 Hexaphenylbenzol
Diedergruppen mit horizontalen Spiegelebenen
D2h S2, 3C2, 2σv, σh, i Ethen, p-Dichlorbenzol
D3h S3, C3, 3C2, 3σv, σh BF3, PCl5
D4h S4, C4, 4C2, 4σv, σh, i XeF4
D5h - S5, C5, 5C2, 5σv, σh IF7
D6h S6, C6, 6C2, 6σv, σh, i Benzol
D∞h - S2, C, ∞C2, ∞σv, σh, i lineare Moleküle wie Kohlendioxid, Ethin
Diedergruppen mit diagonalen Spiegelebenen
D2d ≡ S4v S4, 2C2, 2σd Propadien, Cyclooctatetraen, B2Cl4
D3d ≡ S6v S6, C3, 3C2, 3σd, i Cyclohexan
D4d ≡ S8v - S8, C4, 4C2, 4σd Cyclo-Schwefel (S8)
D5d ≡ S10v - S10, C5, 5C2, 5σd Ferrocen
Tetraedergruppen
T 4C3, 3C2 Pt(PF3)4
Th 4S6, 4C3, 3C2, 3σh, i Fe(C6H5)6
Td 3S4, 4C3, 3C2, 6σd CH4, P4, Adamantan
Oktaedergruppen
O 3C4, 4C3, 6C2 -
Oh 4S6, 3S4, 3C4, 4C3, 6C2, 3σh, 6σd, i SF6, Cuban
Ikosaedergruppen
I - 12S10, 10S6, 6C5, 10C3, 15C2 -
Ih - 12S10, 10S6, 6C5, 10C3, 15C2, 15σv, i Fulleren-C60, Fulleren-C20 (Pentagondodekaeder)
räumliche Drehgruppen SO(3)
Kh - ∞C, ∞σ, i einatomige Teilchen wie Helium, Elementarteilchen

Anwendungen

Die Eigenschaften eines Kristalls hängen im Allgemeinen von der Richtung ab. Daher werden alle Materialeigenschaften durch einen entsprechenden Tensor beschrieben.

Es gibt einen festen Zusammenhang zwischen der Punktgruppe eines Kristalls und der Form des jeweiligen Eigenschaftstensors bzw. der Anzahl seiner unabhängigen Komponenten. Dazu zwei Beispiele:

  1. In Punktgruppen mit einem Inversionszentrum sind alle Komponenten eines ungeraden Tensors identisch Null. Daher gibt es in diesen Punktgruppen keinen Pyroeffekt, keinen Piezoeffekt und auch keine optische Aktivität.
  2. Die elastischen Konstanten sind ein Tensor 4. Stufe, der im Allgemeinen 34 = 81 Komponenten hat. Im kubischen Kristallsystem gibt es aber nur drei unabhängige, von Null verschiedene Komponenten:
  • C1111 (= C2222 = C3333)
  • C1122 (= C2233 = C1133) und
  • C1212 (= C1313 = C2323);
alle andere Komponenten sind Null.

In der Molekül- und Festkörperphysik kann man aus der Symmetrie des Moleküls bzw. Kristalls die Anzahl der infrarot- und raman-aktiven Moden und deren Auslenkungsmuster bestimmen. Eine Zuordnung der gemessenen Frequenzen zu den jeweiligen Moden ist mit gruppentheoretischen Methoden nicht möglich. Kann man diese Zuordnung durchführen, so kann man aus den Frequenzen die Bindungsenergien zwischen den Atomen berechnen.

Literatur

  • Wolfgang Demtröder: Molekülphysik. Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-24974-6.
  • Will Kleber, Hans-Joachim Bautsch, Joachim Bohm, Detlef Klimm: Einführung in die Kristallographie. 19. Auflage. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2010, ISBN 978-3-486-59075-3.
  • Hahn, Theo (Hrsg.): International Tables for Crystallography Vol. A D. Reidel publishing Company, Dordrecht 1983, ISBN 90-277-1445-2
  • Hollas, J. Michael: Die Symmetrie von Molekülen, Walter de Gruyter, Berlin 1975, ISBN 3-11-004637-7

Weblinks

Commons: Point groups – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. The Nobel Prize in Chemistry 2011. In: Nobelprize.org. Abgerufen am 21. Oktober 2011 (englisch).