Deutsche Raumfahrt
Deutsche Raumfahrt ist der Überbegriff über die Aktivitäten des Staates Deutschland oder einzelner Personen auf dem Gebiet der Weltraumfahrt. Das können die Erarbeitung theoretischer Grundlagen, aber auch die Konstruktion und Bau von Raketen oder Raumschiffe sein. Der Begriff umfasst mehrere Zeitepochen bzw. Gebiete: Waffentechnik des Mittelalters, Deutsches Reich (bis 1945), Bundesrepublik Deutschland (bis 1990), Deutsche Demokratische Republik (bis 1990) und Deutschland (ab 1990).
Theoretische Grundlagen
Beschreibung der Raketentechnik bereits ab 1529
Bereits zwischen 1529 und 1556 verfasste Conrad Haas (1509–1576) ein Kunstbuch (Staatsarchiv Sibiu, Varia II 374), in dem er auf 282 Seiten die damals zwei bekannten Einsatzgebiete (Feuerwerksträger und Waffe) der Raketentechnik beschrieb. Diese Handschrift wurde erst 1961 im Hermannstädter Staatsarchiv gefunden. In seinem Werk geht Haas auf fertigungstechnische Detailfragen des Raketenbaus ein, wobei er auch das Wirkungsprinzip der Rakete erklärt, und beschreibt eine Vielzahl von Raketentypen, beispielsweise die Mehrstufenrakete, die Bündelrakete und die Idee des modernen Raumschiffs.
Beeinflussung durch die Science-Fiction-Literatur
Die Science-Fiction-Literatur beeinflusste mit Ideen die wissenschaftlichen Arbeiten auch der deutschen Wissenschaftler. Oberth wurde unter anderem von den Romanen Jules Vernes beeinflusst, etwa von dem Roman Von der Erde zum Mond (1865) und Reise um den Mond (1870).
Konzeption eines Weltraumfahrzeugs 1880
Nach 1880 entwickelte Hermann Ganswindt Konzepte für ein Weltraumfahrzeug nach dem Rückstoßprinzip. Es sollte durch Dynamitexplosionen angetrieben werden. Er sah ein Zweistufenkonzept vor. Das Raumfahrzeug sollte von einem Träger in die Höhe geschleppt werden. Am 27. Mai 1891 hielt er in der Berliner Philharmonie einen öffentlichen Vortrag, in dem er sein Konzept eines Weltenfahrzeuges vorstellte.
Entwürfe von Oberth
Hermann Oberth entwarf im Jahr 1917 eine mit Ethanol und Sauerstoff betriebene Rakete. In seinem einflussreichen Buch Die Rakete zu den Planetenräumen beschrieb er 1923 die wesentlichen Elemente zum Bau von mit Flüssigtreibstoff angetriebenen Großraketen.
Deutsches Reich bis 1945
Die Anfangszeit
Als Anfang der deutschen Raumfahrt zählt der erste bemannte Raketenflug mit der Lippisch-Ente 1928. Auch die Filmindustrie widmete sich der Raumfahrt. So drehte der Regisseur Fritz Lang 1929 den Stummfilm Frau im Mond. In den Jahren von 1927 bis 1934 brachte der Verein für Raumschiffahrt (VfR) die Zeitschrift "Die Rakete" (erste Fachzeitschrift für Raketentechnik und Raumfahrt) auf den Markt.
Auf technischem Gebiet wurde zu Beginn der 1930er Jahre die erste Feststoffrakete vom Typ Mirak (Minimumsrakete) entwickelt. In der Zeit von 1930 bis 1933 wurde zudem in Berlin ein Raketenflugplatz errichtet. Friedrich Schmiedl entwickelte Anfang der 1930er Jahre Postraketen in Österreich.
1931 gelang schließlich der Durchbruch. Johannes Winkler ließ die erste Flüssigkeitsrakete Europas in den Himmel aufsteigen. Im gleichen Jahr gelang es außerdem Reinhold Tiling, eine Feststoffrakete zu starten.
In der Literatur jener Zeit wurde die Raumfahrt in den Werken von Rudolf Nebel, Klaus Riedel und Willy Ley aufgegriffen, Max Valier schrieb 1924 das Buch Der Vorstoß in den Weltenraum.
Darüber hinaus entstanden auch einige Fachbücher, darunter beispielsweise von
- Walter Hohmann (Die Erreichbarkeit der Himmelskörper 1925)
- Herman Potočnik (Das Problem der Befahrung des Weltraums – der Raketenmotor 1929),
- Eugen Sänger (Raketenflugtechnik 1933)
Raketen für den Zweiten Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkrieges wurden mehrere neue Raketentypen für das Militär entwickelt. Darunter waren unter anderem:
Auch folgende Raketentypen wurden für das Militär gebaut.
- Rheintochter (Rakete) (Flugabwehrrakete)
- Rheinbote (Rakete)
- Wasserfall (Rakete) (Flugabwehrrakete)
- Enzian (Rakete) (Flugabwehrrakete)
- Henschel Hs 117 (Flugabwehrrakete)
siehe auch: Liste der Versuchsstarts der A4-Rakete
Um all diese Raketen zu testen und zu starten, wurde in Peenemünde eine Versuchsanstalt und der Prüfstand VII (Raketenstartrampe) errichtet. Später kam als Erweiterung der Forschungsanstalt der Flugplatz Peenemünde-West hinzu. Auftraggeber war hier das Heereswaffenamt am Standort "Kummersdorf-Gut" der Wehrmacht.
Produziert wurden diese Raketen vornehmlich im Dora-Mittelbau bei Nordhausen im Kohnstein.
Als eigentlicher Entwickler der Raketen gilt der Raketentechniker Wernher von Braun, der ab 1929 Mitglied im Verein für Raumschiffahrt war. Ab dem Jahr 1937 übernahm er das Amt des technischen Leiters des Entwicklungsprogramms für militärische Raketen in Kummersdorf.
Außerdem waren folgende Personen an der Entwicklung solcher Raketen beschäftigt:
Sie alle wurden im Rahmen der Operation Overcast in die USA verbracht, um dort weitere Forschungen auf dem Gebiet der Raketentechnik anzustellen.
siehe auch: Raketen und Raketenflugzeuge im Zweiten Weltkrieg, Militär und Industrie entdecken die Raumfahrt, Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, Deutsche Forschungsanstalt für Luftfahrt
Deutsche Techniker nach dem Zweiten Weltkrieg
Viele deutsche Techniker wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Rahmen der Operation Overcast in die USA verbracht, um dort ihr Wissen für amerikanische Raketentechnik nutzbar zu machen.
Ähnlich wie bei Operation Overcast, versuchten auch die Briten unter dem Codenamen Operation Backfire deutsche Wissenschaftler für Raketenversuche ins Königreich zu bringen.
Der Raketentechniker Wernher von Braun war tatkräftig am amerikanischen Mondlandungsprogramm Apollo beteiligt. Helmut Gröttrup, bedeutendster deutscher Raketenspezialist, ist nach dem Ende des Krieges in die Sowjetunion gegangen. Er arbeitete von 1945 bis 1947 im sowjetischen Raketenprogramm mit. Zum Direktor des Centaur-Programms wurde ab 1959 der Wissenschaftler Krafft Arnold Ehricke. Kurt Heinrich Debus war von 1962 bis 1974 Leiter des Kennedy Space Center in Florida.
Auch folgende Wissenschaftler befassten sich mit Raketen- und Raumfahrttechnik:
- Walter Dornberger: Berater beim X20 Dyna-Soar Projekt
- Ernst Stuhlinger: Direktor des Marshall Space Flight Center 1960–1968
- Hans Ziegler: Wegbereiter für Kommunikationssatelliten und für Solarenergiesysteme zum Betrieb von Satelliten
- Hubertus Strughold: erster Professor für Weltraummedizin
- Heinz Haber
siehe auch: Geschichte der Raumfahrt
Bundesrepublik Deutschland bis 1990
- Die Entwicklung der Europa-Rakete und der Ariane-Rakete
- Das Spacelab, ein Raumlabor, das an Bord eines Space Shuttle zum Einsatz kam.
- Der Flug von Ulf Merbold, weitere Raumfahrer: Reinhard Furrer, Ernst Messerschmid
- Das Raumgleiter-Projekt Sänger (Sänger I: 1961–74, Sänger II: Ende der 1980er Jahre bis 1995)
- Hermann-Oberth-Gesellschaft
- Berthold Seliger Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH
- Raketenstarts in Cuxhaven
- Raumsonden und Satelliten
- erster deutscher Satellit: Azur – 8. November 1969
- Dial – 10. März 1970
- Aeros 1 und 2 – 16. Dezember 1972 und 16. Juli 1974
- Helios (Sonde) (BRD/USA): Sonnensonde 1974–76
- Symphonie 1 und 2 – 19. Dezember 1974 und 27. August 1975 (BRD/Frankreich, geostationären Nachrichtensatelliten)
- TV-Sat 1 und 2 – 21. November 1987 und 9. August 1989
- Raketentypen:
- Raumfahrtindustrie:
- ELDO (1962–73), European Space Research Organisation (1962–75), ESA (seit 1975)
- Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR), gegründet 1969
- AMSAT Deutschland
Die Raumfahrtaktivitäten der DDR
Die DDR nahm am Interkosmosprogramm der Sowjetunion (siehe auch: Interkosmos) teil und war an der Mars-Sonde Phobos beteiligt.
Im technischen Bereich entwickelten Wissenschaftler in der DDR die Multispektralkamera MKF 6. Sie diente zur kosmischen Fernerkundung der Erde.
Einziger Kosmonaut der DDR war der aus Morgenröthe-Rautenkranz stammende Sigmund Jähn. Er war der erste Deutsche im Weltraum. Als Ersatzmann für ihn wurde Eberhard Köllner in Moskau ausgebildet.
Als Testgelände für Raketen wurde von 1970 bis 1992 das NVA-Übungsgelände auf Zingst verwendet (Raketenexperimente auf Zingst).
Deutsche Raumfahrt ab 1990
- Der Beitrag zur ISS, das Raumlabor Columbus
- ESA, mit ihren Standorten in Deutschland: Europäisches Astronautenzentrum in Köln und Europäisches Raumflugkontrollzentrum in Darmstadt
- Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA): 1989–97
- Das vom DLR verwaltete deutsche Raumfahrtbudget hat 2007 einen Umfang von ca. 846 Millionen Euro. 70 % davon gehen in ESA-Programme.
- Raumfahrtindustrie: EADS, EADS Astrium, DASA (Luft- und Raumfahrtkonzern), Bosch SatCom, Carl Zeiss, Kayser-Threde, MT Aerospace AG, OHB-System, VCS Nachrichtentechnik
- Deutsche Raumfahrer (Auswahl):
- Sigmund Jähn, 1978 als erster deutscher Raumfahrer auf der sowjetischen Raumstation Saljut 6
- Klaus-Dietrich Flade, war vom 17. März 1992 bis zum 25. März 1992 auf der russischen Raumstation MIR
- Hans Wilhelm Schlegel und Ulrich Walter waren vom 26. April 1993 bis zum 6. Mai 1993 auf dem Spacelab im Space Shuttle eingesetzt
- Reinhold Ewald, war vom 10. Februar 1997 bis zum 2. März 1997 auf der russischen Raumstation MIR
- Thomas Reiter, war vom 3. September 1995 bis zum 29. Februar 1996 auf der MIR (Weltraumausstieg am 20. Oktober 1995) und vom 6. Juli 2006 bis zum 19. Dezember 2006 auf der ISS
- Gerhard Thiele
- Alexander Gerst, zwei Langzeiteinsätze auf der ISS, zuletzt als Kommandant der ISS-Expedition 57 (2018)
- Deutsche Satelliten und Raumsonden:
- wesentliche Beteiligungen an Raumsonden: Mars Express (HRSC-High Resolution Stereo Camera), Venus Express (VMC, Venus Monitoring Camera), Rosetta (Lander Philae / OSIRIS-Optical, Spectroscopic and Infrared Remote Imaging System / COSIMA-Cometary Secondary Ion Mass Analyser / RSI-Radio Science Instrument), SMART-1 (SIR-SMART-1 Infrared Spectrometer)
- wesentliche Beteiligung an der Jupitersonde Galileo
- ROSAT (Start: 1. Juni 1990, Betriebsende: 12. Februar 1999)
- CRISTA
- TUBSAT (TU Berlin)
- Munich Orbital Verification Experiment (MOVE) von WARR/TUM: first-MOVE, MOVE-II, MOVE-IIb und MOVE-III (in Entwicklung)[1]
- ABRIXAS, CHAMP, BIRD (DLR), GRACE (BRD/USA), TET (Satellit), EQUATOR-S
- Kopernikus-Satellit der Deutschen Telekom, SATCOMBw
- Cubesats: BeeSat, COMPASS-1
- Erderkundungssatelliten: Beteiligung an Envisat (SCIAMACHY), TerraSAR-X, RapidEye (beide öff.-priv. Partnerschaft, Kommerzialisierung von Erdbeobachtungsdaten), TanDEM-X (digitales Höhenmodell der Erdoberfläche), EnMAP (Ökosystem Erde: Interaktion Biosphäre-Physiosphäre), SAR-Lupe (militärischer Aufklärungssatellit), Beteiligung am EU-Projekt Kopernikus (Umweltbeobachtung, Katastrophenmanagement, Sicherheit)
- Aktuelle deutsche Raketenentwicklungsprojekte:
Raketenstartplätze
Deutschland hatte für seine Raketenstarts verschiedene Startplätze. Sie lagen zum Teil in Deutschland, aber auch im Ausland. Heute sind diese Anlagen nicht mehr in Betrieb, deutsche Satelliten werden meist von russischen Weltraumbahnhöfen gestartet, teils auch in den USA, in Indien oder vom europäischen Raumfahrtzentrum Guayana.
Das Bremer Industriekonsortium German Offshore Spaceport Alliance verfolgt seit 2017 das Ziel, Kleinraketen von einem Schiff in der Nordsee starten zu lassen.
Historisch
In der Nähe von Berlin wurde 1930 ein Raketentestgelände für militärische Raketen errichtet. 1933 wurde es wegen Kriegsvorbereitungen stillgelegt. Heute findet man noch Überreste alter Bunkeranlagen und Mauern.
In den Jahren von 1936 bis 1945 nutzten die Nationalsozialisten einen Militärstützpunkt in Peenemünde auf der Insel Usedom für die Entwicklung der V2. Die HVA Peenemünde gilt als erster Weltraumbahnhof der Welt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Cuxhaven von 1945 bis 1964 einige Raketenexperimente durchgeführt (siehe auch: Raketenstarts in Cuxhaven).
Die deutsche Firma OTRAG nutzte zwei Testgelände im Ausland. Dies war zum einen Kapani Tonneo (Shaba/Katanga) in Zaïre von 1988 bis 1992 und zum anderen von 1977 bis 1979 im Camp Tawiwa (Oase Seba) in Libyen.
Hochschulen mit Fachbereich Luft- und Raumfahrt
An folgenden Hochschulen kann man im Fachbereich Luft- und Raumfahrt studieren:
- Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
- Fachhochschule Aachen
- Technische Universität Berlin
- Technische Universität Braunschweig
- Technische Universität Dresden
- Universität der Bundeswehr München
- Technische Universität München
- Universität Stuttgart
- Universität Würzburg
- Universität Bremen
- Hochschule Bremen
- Duale Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg
Siehe auch
Literatur
- Niklas Reinke: Geschichte der deutschen Raumfahrtpolitik. Konzepte, Einflussfaktoren und Interdependenzen: 1923–2002. München 2004, ISBN 3-486-56842-6.
- Trischler, Helmuth/Schrogl, Kai-Uwe (Hrsg.): Ein Jahrhundert im Flug. Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland 1907–2007. Frankfurt/New York 2007.
Weblinks
- Weltraumforschung im DLR
- Die Bundesregierung: "Raumfahrtforschung für die Erde"
- Deutsche Satelliten bei Bernd Leitenberger
- Zur Geschichte der Raumfahrt in der DDR
- Raumfahrt in Deutschland – Zeitleiste wichtiger Ereignisse. (DLR-Seite)
Institutionen
- Deutsche Raumfahrtgesellschaft e.V.
- Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
- Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
- Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.
- Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI)
- Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums des DLR
Einzelnachweise
- ↑ MOVE | to space. Abgerufen am 7. Mai 2022 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt. Abgerufen am 7. Mai 2022 (amerikanisches Englisch).