Diskussion:Textkritik

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Geschichte der Textkritik

Hier fehlt noch ein Verweis auf Johann Albrecht Bengel. Der formulierte die Regel von der lectio difficilior. Vorher hat man oft einfach nach der Mehrheit der vorhandenen Manuskripte entschieden. d.h. wenn (zufällig) 10 Handschriften Version A behaupteten und 7 Version B, dann hat man Version A als gültige Version gewählt. Bengel bestand aber auf einer qualitativen Auswahl gegenüber einer quantitativen Auswahl.--Giftzwerg 88 18:11, 5. Mär. 2011 (CET)

Johann Albrecht Bengel hat inzwischen seinen eigenen, recht ordentlichen Artikel, und sowohl dort als auch in Textkritik des Neuen Testaments wird sein Beitrag zur Methode gebührend gewürdigt. Dennoch ist "Proclivi scriptioni praestat ardua" ein so wichtiger Beitrag zur textkritischen Methode im allgemeinen, keineswegs nur der des NT, dass ich den Vorschlag @Giftzwerg 88 unverändert richtig finde. Allerdings wird "Proclivi scriptioni praestat ardua" Bengel meist ohne Quellenangabe zugeschrieben. Wenn wir ihn aufnehmen, zumal in einen Artikel der vom "genauen Hinsehen" handelt, sollte das geklärt sein. Hat zufällig jemand einen präzisen Nachweis des Zitates? Ich füge mal Digitalisate in seinen Artikeln ein, die fehlen mir da sowieso. Gruß --CRolker (Diskussion) 22:40, 7. Aug. 2022 (CEST)

Textkritik und Echtheitskritik

Wie ich gelernt habe (Danke, @Anfeld!), wird in der Theologie klar zwischen Textkritik einerseits und Literarkritik andererseits unterschieden, wobei die Echtheitskritik eindeutig Letzterer zugeordnet wird. Das entspricht der Einteilung in niedere und höhere Kritik, wie sie im 19. Jh. kommun war (Theologie, Altphilologie, Rechtswissenschaften) und auch jenseits der Fachwissenschaften in Lexika ihren Niederschlag fand (Pierer, Mayer, Rotteck; scheinbar nicht Brockhaus). In der Theologie ist diese Unterscheidung ausweislich auch aktueller Fachlexika unverändert üblich (LThK, TRE). Für andere textkritisch arbeitende Disziplinen aber scheint mir das nicht das Fall: Weder ist dort "Literarkritik" ein üblicher Fachausdruck, noch wird Echtheitskritik unbedingt von Textkritik getrennt. Es gibt im Gegenteil in der Geschichtswissenschaft (seit Bernheim) und in der Editionsphilologie Definitionen, die die Echtheitskritik sogar als wichtigstes Element der Textkritik beschreiben. Der Sprachgebrauch geht hier also auseinander. Da der Artikel Textkritik nicht die Rolle der Textkritik in diesem oder jenem Fach beschreiben soll (wie es beim Artikel "Historisch-kritische Methode" der Fall ist, der ausdrücklich die Verwendung dieser Methoden in der Exegese und nicht der Altphilologie, der Geschichtswissenschaft usw behandelt), halte ich es für sinnvoll, diese unterschiedlichen Begriffsverwendungen knapp, aber deutlich anzusprechen. Dazu erst einmal eine Umfrage an alle, dies diese Diskussionsseite nutzen: Stimmen meine Beobachtungen, dass hier teilweise eine chronologische, vor allem aber eine Differenz zwischen Disziplinen vorliegt? In welchen Fächern würde man Echtheitskritik der Textkritik zuordnen, in welchen nicht, wo wird die Unterscheidung nicht so scharf gezogen? --CRolker (Diskussion) 16:48, 1. Aug. 2022 (CEST)

Nur ein Beleg für eine Auffassung, dass Echtheitskritik Teil der Textkritik, ja sogar ihre "vorrangige Aufgabe", sei: Der (Probe-)Artikel Textkritik des geplanten Wörterbuchs der Editionsphilologie - nachzulesen in Martens Gunter (Hrsg.), Editorische Begrifflichkeit: Überlegungen und Materialien zu einem "Wörterbuch der Editionsphilologie" (editio. Beihefte 36), de Gruyter, Berlin und Boston 2013, S. 193-204, hier S. 200 (DOI:10.1515/9783110337822.193) - beginnt wie folgt: "Die Interpretation von überlieferten Texten, die den zentralen Gegenstand von Religions-, Geistes- und Rechtswissenschaften bildet, verlangt eine gesicherte Grundlage, d. h. einen Text in seiner ursprünglichen, heute historischen Gestalt. Die zahlreichen Methoden, Texte auf ihre →Authentizität und →Historizität zu überprüfen, nennt man Textkritik. Vorrangige Aufgabe der Textkritik ist die Feststellung der Authentizität. Stammt ein Text aus der Zeit, aus der er zu stammen vorgibt, und von dem Autor, unter dessen Namen er überliefert ist?" Siehe --CRolker (Diskussion) 16:54, 1. Aug. 2022 (CEST)
Hallo @Giftzwerg 88, liebe alle, wie sieht es mit dem Sprachgebrauch außerhalb der Theologie nun aus? Editionswissenschaftler neigen zu einem weiten Begriff (inclusive Echtheitskritik), Altphilologen scheinen "Textkritik" teils so, teils so zu verwenden, Germanisten wieder eher inclusive. Für einen enzyklopädischen Artikel, der sich auf alle diese Fächer bezieht wäre daher vielleicht statt der Übernahme einer Fachtradition der Hinweis auf den unterschiedlichen Sprachgebrauch eine gute Idee. So hält es auch das Metzler Lexikon Literatur; in der zweiten Auflage hatte es die Echtsheitskritik noch als Teil der Textkritik dargestellt, in der dritten beginnt der einschlägige Artikel neutraler wie folgt: „Textkritik, 1. im weiteren Sinn: Synonym zu 'Editionswissenschaft' oder 'Editionstechnik'. 2. Im engeren Sinn: von der klassischen Philologie entwickeltes, ursprünglich v.a. bei antiken und mittelalterlichen Texten angewendetes editorisches Verfahren, bei dem die Überlieferung von Texten anhand eines festgelegten Regelwerks überprüft wird. Ziel der T. ist es, ein verlorengegangenes, dem Autorwillen möglichst nahekommendes Original ('Archetypus') aus den überlieferten Textzeugen herzustellen.“ Ich schlage vor, den Artikel Textkritik, vor allem die Einleitung, in diesem Sinne zu überarbeiten. Einwände? Zustimmung? --CRolker (Diskussion) 22:54, 4. Aug. 2022 (CEST)
Echtheitskritik ist was völlig anderes als Textkritik. Die Textkritik kann nur bestimmen, welche Fassung die ältere ist. In vielen Fällen ist auch am Ende nicht sicher aus welcher Zeit die älteste ereichbare Fassung ist und wie weit sie von den Autografen abweicht. Ich wüsste nicht wie die Textkritik die Authentizität oder Historiztät überprüfen kann. Dazu braucht man völlig andere Mittel als sie durch den Textvergleich zu ermitteln sind. Man braucht dazu sprachwissenschaftliche Methoden, die beispielsweise bestimmte Sprachformen einer gewissen Zeit zuordnen kann, oder Methoden, die auf dem allgemeinen Wissen des historischen Zusammenhangs beruhen.--Giftzwerg 88 (Diskussion) 00:04, 2. Aug. 2022 (CEST)
Danke für die Antwort. Es geht mir weniger darum, ob die Textkritik Echtheitskritik leisten kann, sondern wie der Begriff "Textkritik" verwendet wird; und ich wollte auf Fächer hinweisen, in denen er (anders als in der Theologie, deshalb habe ich ja LThK und TRE pars pro toto zitiert) anders verwendet wird, nämlich als Bezeichnung jener Teil der Kritik, die Textentwicklung einschließlich Echtheit behandeln. Da der Artikel nicht spezifisch theologisch ist, fände ich ein Eingehen auf die andere Begrifflichkeit der Editionsphilologie (deshalb hatte ich das geplante WB der Editionsphilologie zitiert), aber auch der Altphilologie, der Rechtswissenschaften, der Geschichtswissenschaften usw. sachlich angemessen. --CRolker (Diskussion) 00:44, 2. Aug. 2022 (CEST)
PS Und auch wenn ich die inhaltliche Frage ("Wie kann die T das?") für nicht entscheidend halte, um die Berücksichtigung anderer Fachtraditionen im Artikel zu rechtfertigen: In der editiorischen Praxis liefert die Textkritik im engeren Sinne schon recht direkte Beiträge zur Echtheitskritik, und sei es nur, weil sie nachweisen kann, dass eine interne Autorennennung erst nachträglich in den Text geraten ist oder ausgefallen ist oder sich im Laufe der Zeit verändert hat. Wenn eine traditionelle Zuschreibung eines Werkes zu einem antiken Autor in allen mittelalterlichen Handschriften fehlt, dafür als Zutat einer erst neuzeitlichen Überlieferung nachweisbar ist (und da braucht es nur Heuristik, Kollation, recesio), dann wird die Diskussion der Autorschaft kurz ausfallen... - Ein anderes Beispiel wären Interpolationen in antiken Rechtstexten oder auch Literatur. Sie werden durch Textkritik im engeren Sinne identifiziert, und natürlich kann man die Echtheitskritik als separaten Schritt bezeichnen (wie Du es tun würdest, nehme ich an), aber es gibt Kollegen, die in diesem Feld erfolgreich arbeiten und die ihre eigene Arbeit "Textkritik" nennen. Für den Artikel Textkritik ist aus meiner Sicht die Frage, ob das verbreitet genug ist, um die Echtheitskritik hier im Artikel zu erwähnen, oder ob es Gründe dagegen gibt. Der Sprachgebrauch nur eines textkritisch arbeitenden Fachs wäre mir als Begründung zu schwach. --CRolker (Diskussion) 01:00, 2. Aug. 2022 (CEST)
@Giftzwerg 88 Wenn Du schreibst "Ich halte diese Vermischung der Aufgaben und Begriffe für sehr verwirrend und schädlich. Man solle es nicht so handhaben.", wen meinst Du? Sollten Fächer wie die Editionsphilologie Textkritik nicht in der Weise definieren, wie ich es zitiert habe, oder sollte die Theologie (angesichts Deiner bisherigen Diskussionbeiträge erlaube ich mir, Dich als theologisch arbeitenden Menschen zu identifizieren, ja?) dies nicht tun, oder sollte Wikipedia im Artikel "Textkritik" es nicht tun? Mein Argument bezieht sich nur auch Letzteres: Wenn hinreichend viele hinreichend relevante textkritisch arbeitende Fächer den Begriff Textkritik so gebrauchen, dass er Echtheitskritik einschließ, sollte das in einem (nicht auf Theologie beschränkten) Artikel über Textkritik erwähnt werden. Hauptsächlich bin ich mir unsicher, wie der aktuelle Sprachgebrauch in den mir fremderen Fächern ist, Fachlexika sind hilfreich, aber nicht immer ausreichend. --CRolker (Diskussion) 01:06, 2. Aug. 2022 (CEST)
@Giftzwerg 88, @Anfeld, habe die Echtheitskritik jetzt einmal ausgelagert und in Textkritik unter Berücksichtigung Eurer Hinweise auf den theologischen Sprachgebrauch hingewiesen. --CRolker (Diskussion) 12:56, 13. Aug. 2022 (CEST)
Ich habe sehr lange gewartet, ob vielleicht noch Gründe oder sehr gerne auch Literatur genannt werde; inzwischen habe ich aufgrund eigener Lektüre festgestellt, dass die Zuordnung der Echtheitskritik zur Literarkritik in der Theologie keineswegs so weit verbreitet ist, wie hier in der Diskussion behauptet. Vielleicht mag ja jemand mal den Artikel Literarkritik überarbeiten, die Literaturbasis ist nicht fürchterlich breit und zur Echtheitskritik in der Theologie erfährt man dort auch nicht viel. --CRolker (Diskussion) 23:37, 21. Aug. 2022 (CEST)
Ich halte diese Vermischung der Aufgaben und Begriffe für sehr verwirrend und schädlich. Man solle es nicht so handhaben.--00:47, 2. Aug. 2022 (CEST) (unvollständig signierter Beitrag von Giftzwerg 88 (Diskussion | Beiträge) )

Schleiermacher

Kann jemand erklären, was Schleiermacher so revolutionäres gelehrt hat, dass er hier namentlich aufgeführt wird? Ja, er hat einen allgemein anerkannten Plato-Text herausgegeben und ein textkritisches Werk über eins der Evangelien geschrieben. Das soll wahrscheinlich bedeuten, dass er die textkritischen Methoden benutzt hat. Aber in seinem Gesamtwerk ist das ein verschwindend kleiner Teil. Nirgendwo wird erklärt, dass er irgendetwas Neues in der Theorie zur Textkritik erkannt oder gelehrt hat. Die beiden anderen haben bekanntermaßen jeweils an den Methoden gearbeitet und haben Theorie und Praxis vorangetrieben.--Giftzwerg 88 (Diskussion) 22:52, 14. Aug. 2022 (CEST)

Er hat sie zum Standard gemacht?-- Leif Czerny 12:19, 15. Aug. 2022 (CEST)
Hallo @Giftzwerg 88, Du meinst vermutlich Schleiermachers Platon-*Übersetzung*, die ganz überwiegend Stephanus folgt und aus heutiger Sicht in der Tat keinen textkritischen Wert hat; wie er auch in den "Vorerinnerungen" schreibt, hat S im wesentlichen die Druckausgaben verglichen und in Einzelfällen Konjekturen vorgenommen, teils auch stillschweigend. In Darstellungen der Geschichte der Textkritik werden aber normalerweise auch nicht seine Übersetzungen, sondern seine Vorlesungen zu "Hermeneutik und Kritik" als einschlägige Werke angeführt. Schleiermacher differenziert beide Aspekte begrifflich, betont aber (viel stärker als Lachmann und Co), dass inhaltliches Verstehen und textkritische Arbeit einerander wechselseitig bedingen. In der "Allgemeinen Einleitung" (Sämmtliche Werke, 1. Abt, 7. Bd., S. 1) beschreibt er das Verhältnis knapp wie folgt: "[Kritik ist die] Kunst, die Ächtheit der Schriften und Schriftstellen richtig zu beurtheilen und aus genügenden Zeugnissen und Datis zu konstantieren. Da die Kritik die Gewichtigkeit der Zeugnisse in ihrem Verhältnis zum bezweifelten Schriftwerke oder zur bezweifelten Schriftstelle nur erkennen kann nach gehörigem richtigen Verständniß der letzteren, so setzt ihre Ausübung die Hermeneutik voraus. Wiederum, da die Auslegung in der Ermittlung des Sinnes nur sicher gehen kann, wenn die Ächtheit der Schrift oder Schriftstelle vorausgesetzt werden kann, so setzt auch die Ausübung der Hermeneutik die Kritik voraus." Das ist ein viel weniger mechanisches Modell als die Regeln zur Konstruktion von Archetypen à la Paul Maas. Ich denke schon, dass wir dem Konsens der historischen Forschung, Schleiermacher in die TOP 10 der Textkritik aufzunehmen, folgen sollten, ob oder ob nicht wir persönlich diese enge Verbindung von textkritischen und inhaltlichen Analysen für richtig halten. Gruß, --CRolker (Diskussion) 10:55, 19. Aug. 2022 (CEST)
Meines Wissens ist S auch der erste, der explizit schreibt, dass Textkritik auch dann nötig sein kann, wenn ein Werk autograph erhalten ist. Das war für die Ausdehnung der Textkritik auf "junge" Texte, aber auch den Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Autographen wichtig. S selbst formulierte übrigens noch radikaler - auch mündliche Rede könne ein Fall für Kritik sein: "So oft sich Jemand verspricht, haben wir einen Fall für die philologische Kritik, ungeachtet kein geschriebener Buchstabe vorhanden ist." (Sämmtliche Werke I/7, S. 275) Gruß --CRolker (Diskussion) 11:03, 19. Aug. 2022 (CEST)

Das Leithandschrift-Prinzip

Der Artikel ist, wie viele Einführungen, Handbücher und Lexika, stark auf die stemmatologische Methode konzentriert und verbindet diese ziemlich stark mit Lachmanns. Das ist enzyklopädisch in Ordnung, wir bilden damit einen stabilen Konsens ab. Dennoch kann man nicht ganz ignorieren, dass viele Philologen anders arbeiten, als es die "Lachmann'sche Methode" theoretisch verlangt, und Lachmann selbst ist da keine Ausnahme. In der Praxis ist das Leithandschriftprinzip im 19. und 20. Jh. immer wichtig gewesen, und aktuell nimmt das vermutlich noch einmal zu. Der Abschnitt "Kritik" ist m.E. nicht der geeignete Ort, das abzuhandeln. Ich will natürlich den Artikel nicht überfrachten, aber ein kurzer Abschnitt zur Erstellung von Editionen nach dem Leithandschrift-Prinzip wäre schon sinnvoll. Oder ist das keine "Textkritik", weil der Sprachgebrauch eben so ist, dass Textkritik="Lachmann"? Wäre dann Historisch-kritische Ausgabe der bessere Ort? Freue mich Rückmeldungen der sehr geschätzten Leser- und Schreiberschaft dieses Artikels, Gruß --CRolker (Diskussion) 18:06, 20. Sep. 2022 (CEST)