Johannes Popitz

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Johannes Popitz (1934)

Hermann Eduard Johannes Popitz (* 2. Dezember 1884 in Leipzig; † 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee) war ein deutscher Politiker und konservativer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er war der Vater des Soziologen Heinrich Popitz.

Leben

Seine Eltern waren der Apotheker Heinrich Popitz (1845–1892) und dessen Ehefrau Anna Rudolph (1862–1945), eine Tochter des Landgerichtspräsidenten in Dessau Moritz Rudolph (1830–1929).

Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Lausanne, Leipzig, Berlin und Halle. Seine politische Laufbahn begann Popitz zwischen 1914 und 1919 als Referent im preußischen Innenministerium. In diese Zeit fallen auch seine ersten Bestrebungen, in Deutschland eine Umsatzsteuer einzuführen. Dies gelang dem sogenannten geistigen Vater der Steuer 1919 tatsächlich, als er seine Tätigkeit im Reichsfinanzministerium aufnahm. Dort wirkte er von 1925 bis zu seinem Rücktritt 1929 als Staatssekretär. Außerdem war Popitz ab 1922 Honorarprofessor für Steuerrecht und Finanzwissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche finanzwissenschaftliche Kommentare.

Popitz war von 1929 bis 1944 Präsident der Gesellschaft für antike Kultur, deren kulturpolitisches Programm der Dritte Humanismus war, der eine Vergegenwärtigung der Ideen der Antike anstrebte. In deren Zeitschrift Die Antike, herausgegeben vom prominenten Philologen Werner Jaeger, veröffentlichte auch Popitz.[1] 1929 wurde er Ehrenmitglied des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches. Er war Mitglied der „Deutschen Gesellschaft 1914“ und wurde 1932 in die exklusive Mittwochsgesellschaft kooptiert, deren immer nur 16 Mitglieder sich regelmäßig zu Vorträgen über ihr Fachgebiet trafen – auch Popitzs Freund, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch gehörte dem Kreis an.[2] Auch hier wurde er schon bald zum Vorsitzenden gewählt.[3] Am 1. November 1932 wurde Popitz Reichsminister ohne Geschäftsbereich und kommissarischer Leiter des preußischen Finanzministeriums. Am 21. April 1933 wurde Popitz zum preußischen Minister ernannt. Qua Amt war er Mitglied im Preußischen Staatsrat. Popitz war ein Förderer von Musik und Theater, Er war langjähriger Präsident der „Gesellschaft für Theatergeschichte“ in Berlin und eng befreundet mit dem damaligen Generalintendanten der Preußischen Staatstheater und Leiter der Staatsoper Berlin (1926–1945), Staatsrat Heinz Tietjen. Popitz war seit 1930 mit dem Staatsrechtler Carl Schmitt befreundet.

Berliner Gedenktafel am Haus Am Festungsgraben 1, damals preußisches Finanzministerium, in Berlin-Mitte

Popitz nahm mit fast allen anderen Ministern am 30. Januar 1937 von Hitler persönlich das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP entgegen. Das bedeutete eine Mitgliedschaft in der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.805.233). Nur der Verkehrsminister Paul von Eltz-Rübenach verweigerte die Annahme des Goldenen Abzeichens und die Aufnahme in die NSDAP. Popitz gehörte auch dem Präsidium der von Hans Frank gegründeten nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht an und übernahm den Vorsitz im Ausschuss für Rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Nachwuchs.[4] Seine Auflehnung gegen das Naziregime begann in den Jahren 1937/1938, als er sah, wie die Juden verfolgt und deportiert wurden. Popitz reichte daher 1938 ein Rücktrittsgesuch ein, das jedoch abgelehnt wurde. Daraufhin begann sich der monarchistisch und nationalkonservativ geprägte Popitz in Widerstandskreisen zu engagieren, unter anderem mit einzelnen Mitgliedern der Mittwochsgesellschaft, einer konservativ-oppositionellen Gruppe von hohen Beamten und Wissenschaftlern. Der Schriftsteller Paul Fechter, der Popitz in der Mittwochsgesellschaft kennenlernte, schrieb später über ihn: „Popitz war ein erbitterter Gegner des nationalsozialistischen Staates und seiner Männer. Er ist es gewesen, der aus der Mittwochsgesellschaft langsam und vorsichtig eine Zelle des Widerstandes gemacht hat; er hat bei jeder Gelegenheit versucht, Menschen, die als Gegner des Systems in Gefahr geraten waren, zu helfen, sie mit Hilfe seiner Verbindungen dem Netz zu entziehen, in das sie sich verstrickt hatten.“[5] Für Carl Goerdeler, einen der führenden Verschwörer gegen Hitler, erarbeitete Popitz ein „Vorläufiges Staatsgesetz“, das nach dem Putsch gegen Hitler in Deutschland in Kraft treten sollte.

Um den Machtwechsel legal und ohne Blutvergießen zu erreichen, trat Popitz im Sommer 1943 über Carl Langbehn mit Heinrich Himmler in Kontakt, den er zu überreden versuchte, mit den Westmächten in Friedensverhandlungen zu treten. Zu diesem Zeitpunkt jedoch weigerte sich Himmler, diesem Vorschlag nachzukommen. Popitz wurde bald darauf von den Verschwörern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Finanz- und Kultusminister vorgesehen, sollte das Attentat vom 20. Juli 1944 gelingen. Als sich Himmler wegen eines abgefangenen Funkspruches im September 1943 vollständig aus den Gesprächen mit Popitz zurückzog und auch Goebbels in seinem Tagebuch notierte, dass Hitler Popitz als Feind betrachte,[6] war dieser Plan gescheitert. Popitz rückte aus dem Zentrum der Bewegung aufgrund einer Abneigung des Kreises der jüngeren Offiziere um Stauffenberg und des Gewerkschaftsflügels der Opposition. Auf den letzten Ministerlisten der Opposition fehlte Popitz’ Name.[7] Nachdem das Attentat gescheitert war, wurde Popitz einen Tag später verhaftet und am 3. Oktober 1944 vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tod verurteilt. Am 2. Februar 1945 wurde er in Plötzensee gehenkt.

Erinnerung

In der Nähe der Hinrichtungsstätte Plötzensee wurde 1957 der Popitzweg nach ihm benannt.[8]

Am ehemaligen preußischen Finanzministerium, dem Palais am Festungsgraben, Am Festungsgraben 1 in Berlin-Mitte, erinnert seit 1994 eine Berliner Gedenktafel an ihn. Seinen Namen trägt auch der historische Festsaal in diesem Palais, den Popitz 1934 zu dessen Rettung im Erdgeschoss aus einem abgerissenen Berliner Bürgerhaus einbauen ließ und der von Schinkel gestaltet worden war.

Auf Beschluss des Leipziger Stadtrates[9] trägt seit 2011 eine Straße im Ortsteil Gohlis-Mitte den Namen Popitzweg. Seit den 1960er Jahren gibt es in Göttingen ebenfalls einen Popitzweg und seit 1956 eine Johannes-Popitz-Str. in Leverkusen.[10] Auch im Koblenzer Stadtteil Pfaffendorfer Höhe gibt es eine Johannes-Popitz-Straße.[11]

Zitat

„Man kann nicht mit gewöhnlichen Mitteln aus einer ungewöhnlichen Katastrophe herausführen.“[12]

Schriften (Auswahl)

  • Kommentar zum Umsatzsteuergesetz vom 26. Juli 1918. Nebst der Sicherungsverordnung, der Ausführungsbestimmungen des Bundesrates, Liebmann, Berlin 1918.
  • Kommentar zum Umsatzsteuergesetz vom 24. Dezember 1919, Liebmann, Berlin 1925.
  • Gegenwartsaufgaben der Finanz- und Steuerpolitik, Quelle & Meyer, Leipzig 1927.
  • Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden. Gutachten, erstattet der Studiengesellschaft für den Finanzausgleich, Liebmann, Berlin 1932.
  • Zur Eingliederung der freien und Hansestadt Lübeck in Preußen. Rede vor der Industrie- u. Handelskammer zu Lübeck am 25. Februar 1937, Lübeck 1937.
  • Dem Gedächtnis Karl Friedrich Schinkels. In: Die Antike, Band 18, 1942, S. 1–9.

Literatur

  • Lutz-Arwed Bentin: Johannes Popitz und Carl Schmitt. Zur wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates in Deutschland (= Münchener Studien zur Politik. Bd. 19). Beck, München 1972, ISBN 3-406-02799-7.
  • Hildemarie Dieckmann: Johannes Popitz. Entwicklung und Wirksamkeit in der Zeit der Weimarer Republik (= Studien zur europäischen Geschichte aus dem Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Bd. 4). Colloqium Verlag Otto H. Hess, Berlin-Dahlem 1960.
  • Johann Heinrich Kumpf: Amt und Verantwortung. Ausstellung zur Erinnerung an Johannes Popitz (1884–1945). Bundesministerium der Finanzen. Veranstaltet von der Bundesfinanzakademie, Siegburg 1984.
  • Siegfried Mielke (Hrsg.) unter Mitarbeit von Marion Goers, Stefan Heinz, Matthias Oden, Sebastian Bödecker: Einzigartig – Dozenten, Studierende und Repräsentanten der Deutschen Hochschule für Politik (1920–1933) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Lukas-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86732-032-0, S. 139, 324–327. (Kurzbiographie).
  • Anne Christine Nagel: Johannes Popitz (1884–1945). Görings Finanzminister und Verschwörer gegen Hitler. Eine Biographie. Böhlau, Köln u. a. 2015, ISBN 3-412-22456-1.
  • Alfons Pausch: Johannes Popitz, und was bleibt. In: Deutsche Steuer-Zeitung 72 (1984), S. 475–477.
  • Gerhard SchulzPopitz, Johannes. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 620–622 (Digitalisat).
  • Gerhard Schulz: Johannes Popitz. In: Rudolf Lill, Heinrich Oberreuter (Hrsg.): 20. Juli – Portraits des Widerstands. Econ, Düsseldorf 1984, S. 237–251.
  • Reimer Voß: Johannes Popitz (1884–1945). Jurist, Politiker, Staatsdenker unter drei Reichen – Mann des Widerstands. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2006, ISBN 3-631-55099-5.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Johannes Popitz: Ansprache des Präsidenten der Gesellschaft für antike Kultur Herrn Staatssekretär Johannes Popitz zur Eröffnung ihrer ersten öffentlichen Tagung. In: Die Antike. Zeitschrift für Kunst und Kultur des klassischen Altertums. Bd. 5, 1929, S. 161–166.
  2. Ferdinand Sauerbruch, Hans Rudolf Berndorff: Das war mein Leben. Kindler & Schiermeyer, Bad Wörishofen 1951; zitiert: Lizenzausgabe für Bertelsmann Lesering, Gütersloh 1956, S. 395–397 und 420.
  3. Klaus Scholder (Hrsg.): Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932–1944. Verlag Severin und Siedler, Berlin 1982, ISBN 3-88680-030-X.
  4. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Zweite aktualisierte Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 469.
  5. Paul Fechter: Menschen und Zeiten. Begegnungen aus fünf Jahrzehnten. Bertelsmann, Gütersloh 1949, S. 387.
  6. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Hrsg. von Elke Fröhlich, Teil II, Bd. 9, München 1993, S. 577.
  7. Klaus Scholder (Hrsg.): Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932–1944. Verlag Severin und Siedler, Berlin 1982, S. 40 f., ISBN 3-88680-030-X.
  8. Popitzweg. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert).
  9. Ratsversammlung vom 18. Mai 2011 (Beschluss-Nr. RBV-822/11), amtliche Bekanntmachung: Leipziger Amtsblatt, Nr. 11 vom 4. Juni 2011, bestandskräftig seit dem 5. Juli 2011 bzw. 5. August 2011. Vgl. Leipziger Amtsblatt, Nr. 16 vom 10. September 2011.
  10. Leverkusener Straßenverzeichnis.
  11. Suche nach Popitz in: Zeit Online, Januar 2018: Wie heißt meine Straße?
  12. Klaus Scholder: Die Mittwochs-Gesellschaft. Severin und Siedler, Berlin 1982, ISBN 3-88680-030-X, S. 20.