Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

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Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist eine Begehungsform des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Der Tatbestand ist in § 113 des deutschen Strafgesetzbuches normiert.

Entstehungsgeschichte

Im deutschsprachigen Raum existieren seit längerer Zeit Rechtsnormen, die Widerstand gegen das Handeln von Amtswaltern gesondert unter Strafe stellen. So sah etwa § 89 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 für die Störung einer Amtshandlung eine Gefängnisstrafe von vierzehn Tagen bis zu zwei Jahren vor. Eine weitgehend wortgleiche Regelung wurde als § 113 in das am 1. Januar 1872 in Kraft getretene Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) aufgenommen. Qualifiziert wurde diese Vorschrift durch § 114 RStGB, den Tatbestand der Beamtennötigung. Dieser ordnete für das Nötigen eines Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung eine Gefängnisstrafe von mindestens drei Monaten bis zu fünf Jahren an. Damit waren beide Vorschriften systematisch als Qualifikationen der einfachen Nötigung (§ 240 RStGB) konzipiert, die mit bis zu einem Jahr Gefängnis sanktioniert werden konnte.[1]

1943 ergänzte der nationalsozialistische Gesetzgeber § 113 StGB in Absatz 4 um eine bis dahin nicht vorhandene Versuchsstrafbarkeit. Zudem hob er das Strafmaß der Nötigung auf bis zu fünf Jahren Gefängnis an. Dadurch wandelte sich § 113 StGB zu einer privilegierten Form der Nötigung.[2]

1953 schaffte der Gesetzgeber durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz[3] die Versuchsstrafbarkeit bei § 113 StGB ab, da er die Regelung als überzogene Ausprägung des nationalsozialistischen Willensstrafrechts ansah.[4][5]

Vor dem Hintergrund der Notstandsgesetzgebung und der Studentenunruhen nahm der Gesetzgeber Ende der sechziger Jahre eine Überarbeitung des § 113 StGB in Angriff. Diese trat am 22. Mai 1970 als Bestandteil des dritten Strafrechtsreformgesetzes in Kraft. Sie führte zur Aufnahme von Regelbeispielen in die Vorschrift, die dem im Einzelfall entscheidenden Richter für bestimmte Begehungsformen, etwa bei Beisichführen einer Waffe, eine höhere Strafandrohung nahelegen.[5]

Nach geringfügigen Änderungen in den Jahren 1974[6] und 1998[7] erfolgte eine größere Überarbeitung des § 113 StGB durch das 44. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs von 2011.[8][9] Der Gesetzgeber begründete dies mit einer gestiegenen Anzahl an Fällen des § 113 StGB.[10] Der Tatbestand des § 113 StGB wurde verschärft und gleichzeitig das mögliche Höchststrafmaß für den Grundtatbestand von zwei auf drei Jahre Freiheitsstrafe angehoben, die Mindeststrafe ist Geldstrafe.[11]

Seine gegenwärtige Form erhielt § 113 StGB durch das 52. Strafrechtsänderungsgesetz, das am 30. Mai 2017 in Kraft trat.[12] Hierdurch entfernte der Gesetzgeber die Begehungsform des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB und baute sie in § 114 StGB zu einem eigenständigen Tatbestand mit einer schärferen Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe aus.[13] Der bisherige § 114 StGB, der den Anwendungsbereich des § 113 StGB auf zusätzliche Personengruppen ausdehnte, wurde zu § 115 StGB. Mit dieser Reform sollte ebenfalls der Zunahme von Taten nach § 113 StGB begegnet werden. Sie ging auf eine Forderung der Gewerkschaft der Polizei zurück.[14]

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB)

Gesetzestext

Der Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte lautet seit seiner letzten Veränderung am 30. Mai 2017[12] wie folgt:

(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1. der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3. die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

Geschütztes Rechtsgut der Strafvorschrift ist die Verwirklichung des staatlichen Vollstreckungsinteresses durch die zur Vollstreckung berufenen staatlichen Organe.[15] Durch die Strafbewehrung einer unter Einsatz von Gewalt oder der Drohung mit ihr erfolgenden Widerstandshandlung soll der rechtliche Schutz der Amtsträger verstärkt werden, die bei Vollstreckungsmaßnahmen besonderen Gefahren durch Gegenwehr ausgesetzt sind.[16] Zu den typischen Fallkonstellationen gehört etwa die Festnahme betrunkener Personen.[17]

Wegen des Strafrahmens von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe handelt es sich bei § 113 StGB gemäß § 12 Absatz 2 StGB um ein Vergehen.

In besonders schweren Fällen wird Widerstand gegen bzw. tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt gemäß der seit 30. Mai 2017 gültigen Fassung in der Regel vor, wenn der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug mitführt, durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht.

Objektiver Tatbestand

Amtsträger oder Soldat der Bundeswehr

Die Handlung des Täters muss sich gegen einen Vollstreckungsbeamten oder Soldaten der Bundeswehr richten. Umfasst sind davon alle inländischen Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB und neben Soldaten der Bundeswehr im Sinne des § 1 Abs. 1 SG auch Soldaten oder Beamte der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes, die sich zur Zeit der Tat im räumlichen Geltungsbereich des NATO-Truppen-Schutzgesetzes (NTSG) aufhalten (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 NTSG).

Vornahme einer Diensthandlung

Der Amtsträger muss zur Vollstreckung eines Gesetzes, einer Rechtsverordnung, von Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen sein. Gegen eine solche Diensthandlung muss sich der Widerstand des Täters richten. Die Vollstreckungshandlung muss schon begonnen haben und noch andauern. Zumindest muss sie aber unmittelbar bevorstehen.

Dabei handelt es sich um all solche Handlungen, die darauf gerichtet sind, eine konkrete hoheitliche Maßnahme wie polizeiliche oder gerichtliche Anordnungen im Einzelfall durchzusetzen. Beispiele hierfür sind die Weisung eines Polizeibeamten, im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle anzuhalten oder die Auflösung einer Demonstration, ein Gerichtsvollzieher, der eine Sachpfändung beim Schuldner durchführt oder wenn ein Richter in Ausübung sitzungspolizeilicher Befugnisse eine Person des Sitzunsgsaals verweist (§§ 176 ff., § 177 GVG).[18]

Widerstand gegen die Diensthandlung

Der Täter muss der Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leisten.

Unter Widerstand ist eine aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll.[19] Nach dem Schutzzweck des § 113 StGB muss die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet und für ihn – unmittelbar oder mittelbar über Sachen – körperlich spürbar sein.[20] Bloße Flucht vor der Polizei ist kein (gewaltsamer) Widerstand, auch wenn dadurch gegebenenfalls Dritte gefährdet oder unvorsätzlich verletzt werden.[21][22]

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Gewalt nicht mit Gewalttätigkeiten gegen eine andere Person gleichzusetzen. Es hat lediglich im Zusammenhang mit Sitzblockaden festgestellt, dass die bloße physische Anwesenheit an einem Ort, die ohne weitere Kraftentfaltung auf die Psyche anderer Personen Zwang ausübt, keine Gewaltanwendung ist.[23]

Handlungen, wie das Festhalten an Gegenständen[24] und das Stemmen der Füße gegen den Boden[25] mit denen eine Person ihr Verbringen an einen anderen Ort verhindern will, sind jedoch Widerstandshandlungen mittels Gewalt. Ebenso wie der unmittelbar gegen den Körper des Amtsträgers gerichtete tätliche Angriff, der in § 114 Abs. 1 StGB gesondert unter Strafe gestellt ist, sind derartige Verhaltensweisen durch den oftmals nicht unerheblichen Einsatz von Körperkraft gekennzeichnet und müssen durch ebenfalls nicht unerheblichen Krafteinsatz überwunden werden. Auch für den Adressaten der Strafnorm unterscheiden sie sich damit von rein passiven Widerstandshandlungen.[26]

Rechtmäßigkeit der Diensthandlung

Nach § 113 Abs. 3 StGB ist der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

Ob die Rechtmäßigkeit „unrechtskonstitutives Tatbestandsmerkmal“[27] oder eine objektive Bedingung der Strafbarkeit[28] ist oder ob die Unrechtmäßigkeit der Diensthandlung einen Rechtfertigungsgrund darstellt,[29] ist umstritten.[30]

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht. Die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne hängt zur Entlastung des Vollzugsbeamten lediglich davon ab, dass „die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten“ gegeben sind, „er also örtlich und sachlich zuständig“ ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und sein ihm gegebenenfalls eingeräumtes Ermessen pflichtgemäß ausübt.[31]

Subjektiver Tatbestand

Im subjektiven Tatbestand ist Vorsatz gefordert. Wird die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung als Tatbestandsmerkmal angesehen, so reicht dafür Fahrlässigkeit. Als objektive Bedingung der Strafbarkeit bedarf es noch nicht einmal der Fahrlässigkeit. Passiver Widerstand kann ebenfalls strafbar sein, zum Beispiel das plötzliche Sich-Einschließen.

Der Versuch des Delikts ist nicht strafbar (kein Unternehmensdelikt), so dass die speziellen Irrtumsregeln des § 113 Abs. 3 und 4 StGB gelten. Da der Täter Rechtsschutz gegen die irrtümlich rechtmäßigen Diensthandlungen suchen kann, wird die Strafe nach Abs. 4 nur fakultativ gemildert.

Konkurrenzen

Soweit ein Angeklagter beispielsweise durch den Einsatz eines Schreckschussrevolvers eine Diensthandlung hindert, erfüllt er zwar neben dem Tatbestand des § 113 Abs. 1 StGB zugleich den der Nötigung nach § 240 StGB. Da jedes Widerstandleisten aber zugleich den Zweck verfolgt, den betroffenen Beamten zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen,[32] tritt der Tatbestand des § 240 StGB im Konkurrenzwege zurück. Dies führt dazu, dass § 113 StGB als lex specialis allein anzuwenden ist.[33] Eine tateinheitliche Verurteilung wegen (versuchter) Nötigung muss daher entfallen.[34][35]

Tateinheit ist im Rahmen des § 113 StGB aber denkbar mit den Körperverletzungsdelikten,[36] den Sachbeschädigungsdelikten und dem Hausfriedensbruch.

Auch bezüglich mehrerer, einander folgenden Widerstandshandlungen besteht natürliche Handlungseinheit.[37]

Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichgestellte Personen (§§ 114, 115 StGB)

Zum 30. Mai 2017 wurde der Straftatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte bei einer Diensthandlung in § 114 StGB n.F. geregelt. Die Diensthandlung muss keine Vollstreckungshandlung sein. In Betracht kommen z. B. eine polizeiliche Streifentätigkeit, Befragungen von Passanten, Unfallaufnahmen, Radarüberwachungen, Reifenkontrollen, Beschuldigtenvernehmungen oder die Begleitung von Demonstrationszügen.[38] Es wird nicht der (passive) Widerstand gegen Vollstreckungshandlungen, sondern ein aktiver tätlicher Angriff auf Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr bei der Vornahme rechtmäßiger Diensthandlungen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Unter einem tätlichen Angriff ist eine „in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung“[39] zu verstehen. Für besonders schwere Fälle, die mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden, verweist § 114 Abs. 2 StGB auf § 113 Abs. 2 StGB.

Über § 115 StGB n.F. werden der Widerstand gegen sowie der tätliche Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen erfasst. Diese sind beispielsweise Jagdaufseher, bei Unglücksfällen, Gefahr oder gemeiner Not auch Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes.

Nebenfolgen

Inhabern eines Jagdscheins kann dieser bei einer Verurteilung nach den §§ 113 bis 115 StGB entzogen und gesperrt werden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG).

Ergibt ein Auszug aus dem Bundeszentralregister eine Verurteilung wegen Widerstands gegen oder des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte oder gegen oder auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, liegt die für die Erteilung einer Erlaubnis im Bewachungsgewerbe erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht vor (§ 34a Abs. 1 Satz 4 Nummer 4 Buchstabe b, Satz 5 Nr. 2 GewO).

Statistik

Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik waren im Jahr 2017 insgesamt 47 609 Vollstreckungsbeamte im Sinne der §§ 113, 114 StGB Opfer einer entsprechenden Straftat, darunter 47 495 Polizeivollzugsbeamte.[40]

Im Jahr 2015 wie im Jahre 2019 wurden rund 5.000 Personen nach § 113 StGB sowie 5.000 Personen nach § 114 StGB verurteilt.[41] 90 Prozent der Verurteilten sind Männer, 20 Prozent wurden wegen einer Tat im gleichen Jahr, 60 Prozent wegen einer Tat im Vorjahr verurteilt. 20 Prozent werden zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die anderen zu Geldstrafe.[42] Der Anteil der Abgeurteilten, die freigesprochen wurde oder bei denen das Verfahren eingestellt wurde, lag bei § 113 bei 18 %, bei § 114 bei 10 %.[43] Zu Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt wurden nach § 113 216 Personen, davon 8 Frauen, nach §114 401 Personen, davon 25 Frauen; bei 21 bzw. 25 Personen wurden mehr als 2 Jahre Freiheitsstrafe verhängt.[44] Die verhängten Geldstrafen betrugen in 85 % der Fälle bei § 113 und 44 % bei § 114 maximal 90 Tagessätze.[45] 200 bzw. 350 Personen wurden wegen §113 bzw. 114 in Untersuchungshaft genommen.[46] Etwa die Hälfte der Verurteilten war bereits zuvor wegen einer Straftat verurteilt worden. Jeder vierte bereits vorab mehr als fünf Mal und ebenfalls jeder vierte vorab bereits zu einer Haftstrafe.[47] 30 % der Verurteilten sind Ausländer.[48]

Anzeigen als Reaktion auf eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt

Auf eine Anzeige eines Bürgers wegen Körperverletzung im Amt gegenüber Polizeibeamten folge oft eine Gegenanzeige der Polizisten wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, so Tobias Singelnstein.[49] In einem Artikel für Die Zeit erklärt Nana Heymann, der vorgeworfene Tatbestand des Widerstands "dient auch der Absicherung des behördlichen Handelns: Der Festzunehmende hat sich widersetzt, womöglich sogar handgreiflich – dass der Polizist körperliche Gewalt einsetzen musste, wird dadurch plausibler."[50]

Polizisten, die ungerechtfertigte Gegenanzeigen schreiben, begehen eine Falsche Verdächtigung bzw. Verfolgung Unschuldiger.[51][52]

Nebenstrafrecht

Luftsicherheitsgesetz

Während eines Flugs nimmt der Luftfahrzeugführer gem. § 12 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) die hoheitliche Aufgabe der Gefahrenabwehr als Beliehener ergänzend zu den Luftfahrtbehörden wahr. Gem. § 20 Abs. 1 LuftSiG handelt ordnungswidrig, wer als an Bord befindliche Person den Anordnungen des Luftfahrzeugführers oder seiner Beauftragten nicht Folge leistet. Wer dabei mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bestraft (§ 20 Abs. 2 und 3 LuftSiG).

Die Vorschrift begegnet dem Problem der Unruly/Disruptive Passengers (unbotmäßige Fluggäste). Die Mitgliedstaaten der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) waren durch die Ratsentschließung A 33-4[53] nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 aufgefordert worden, in diesem Bereich insbesondere durch Schaffung von Sanktionsvorschriften tätig zu werden.[54][55]

Seemannsgesetz

Bis zum Außerkrafttreten zum 1. August 2013 gab es das Vergehen des gewaltsamen Widerstands gegen Maßnahmen von Vorgesetzten zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung an Bord gemäß § 116 Seemannsgesetz (SeemG), vgl. Festnahme#Sonderfälle.

Mit dem Seearbeitsgesetz (SeeArbG) wurden die bisher im Seemannsgesetz enthaltenen Vorschriften zu Straftaten und Ordnungswidrigkeiten grundlegend modernisiert. Hinsichtlich der Strafvorschriften wurden nur solche Regelungen aus dem Seemannsgesetz übernommen, deren Unrechtsgehalt besonders hoch ist und die nicht nach anderen Vorschriften, insbesondere dem Strafgesetzbuch, bestraft werden können. Gem. § 145 Abs. 1 Nr. 16b, § 124 Abs. 1 Satz 2 SeeArbG stellt die Nichtbefolgung dienstlicher Anordnungen anders als noch in § 115 SeemG keine Straftat mehr, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit dar. § 116 SeemG wurde in das SeeArbG nicht übernommen.[56]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Hans-Ullrich Paeffgen: § 113, Rn. 1. In: Urs Kindhäuser, Ulfrid Neumann, Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.): Strafgesetzbuch. 5. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2017, ISBN 978-3-8487-3106-0.
  2. Nikolaus Bosch: Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB) – Grundfälle und Reformansätze. In: Jura 2011, S. 268.
  3. BGBl. 1953 I S. 735.
  4. Hans-Ullrich Paeffgen: § 113, Rn. 1. In: Urs Kindhäuser, Ulfrid Neumann, Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.): Strafgesetzbuch. 5. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2017, ISBN 978-3-8487-3106-0.
  5. a b Nikolaus Bosch: § 113, Rn. 5. In: Klaus Miebach (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Auflage. Band 3: §§ 80–184j. C.H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-68553-8.
  6. BGBl. 1974 I S. 469.
  7. BGBl. 1998 I S. 164.
  8. BGBl. 2011 I S. 2130.
  9. Tobias Singelnstein, Jens Puschke: Polizei, Gewalt und das Strafrecht – Zu den Änderungen beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte NJW 2011, S. 3473–3536
  10. Hans-Ullrich Paeffgen: § 113, Rn. 1a. In: Urs Kindhäuser, Ulfrid Neumann, Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.): Strafgesetzbuch. 5. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2017, ISBN 978-3-8487-3106-0.
  11. Änderung des § 113 StGB durch das Vierundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vom 1. November 2011 BGBl. I S. 2130.
  12. a b BGBl. 2017 I S. 1226.
  13. Dominik König, Sebastian Müller: Einordnung des neuen § 114 StGB im bisherigen System der „Widerstandstaten“. ZIS 2018, S. 96–102
  14. Zur Entstehungsgeschichte Mark Zöller: Neue Straftatbestände zum Schutz vor Gewalt gegen Polizeibeamte? In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 2015, S. 445 f.
  15. Martin Heger: § 113, Rn. 1. In: Karl Lackner (Begr.), Kristian Kühl, Martin Heger: Strafgesetzbuch: Kommentar. 29. Auflage. C. H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-70029-3. Mark Zöller, Marion Steffens: Grundprobleme des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB). In: Juristische Arbeitsblätter 2010, S. 161. Nikolaus Bosch: Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB) – Grundfälle und Reformansätze. In: Jura 2011, S. 268.
  16. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2007 – 1 BvR 1090/06 Rdnr. 32
  17. Michael Kubiciel: Schriftliche Fassung der Stellungnahme in der öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 22. März 2017 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten - BT-Drs. 18/11161 Universität zu Köln, S. 3
  18. vgl. auch Gisa Pahl: Wann begeht man einen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ (§ 113 StGB)? Website abgerufen am 1. März 2019
  19. BGH NStZ 2013, 336
  20. BGHSt 18, 133; Lackner/Kühl, 28. Aufl. 2014, § 113 StGB Rn. 5
  21. BGH NStZ 2013, 336; Fischer StGB, 62. Aufl. 2015, § 113 Rn. 23
  22. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 StR 204/14 Rdnr. 7
  23. vgl. BVerfGE 92, 1, 16 ff.; 104, 92, 101 f. [BVerfG 10. Oktober 2001 - 1 BvL 17/00]
  24. vgl. OLG Köln, VRS 71, S. 183, 186; v. Bubnoff, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 113 Rn. 15
  25. vgl. OLG Köln, VRS 71, S. 185 und bereits RGSt 2, 411, 412
  26. BVerfG, Beschuss vom 23. August 2005 - 2 BvR 1066/05 Rdnr. 2
  27. Schönke/Schröder/Eser StGB, 29. Aufl. 2014, § 113 Rn. 20; Kindhäuser Strafrecht BT I, 8. Aufl. 2017, § 36 Rn. 44
  28. Satzger/Schluckebier/Widmaier/Fahl StGB, 3. Aufl. 2016, § 113 Rn. 10; BGHSt 4, 161
  29. Lackner/Kühl/Heger StGB, 28. Aufl. 2014, § 113 Rn. 18; Nomos Kommentar StGB/Paeffgen, 5. Aufl. 2017, § 113 Rn. 70
  30. vgl. Dogmatische Einordnung des Rechtmäßigkeitserfordernisses in § 113 III Website der Universität Freiburg, abgerufen am 1. März 2019
  31. BGH, Urteil vom 9. Juni 2015 - 1 StR 606/14 Rdnr. 25 ff.
  32. siehe LK-StGB/Rosenau, 12. Aufl., Rn. 89 zu § 113 StGB
  33. vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233 ff. [noch zur alten Rechtslage]; vgl. auch Fahl StV 2012, 623, 624 mwN mit Kritik an der Annahme einer Privilegierung; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 113 Rn. 2
  34. BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - 1 StR 70/17 Rdnr. 3
  35. Hans-Ullrich Paeffgen: § 113, Rn. 90. In: Urs Kindhäuser, Ulfrid Neumann, Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.): Strafgesetzbuch. 5. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2017, ISBN 978-3-8487-3106-0.
  36. vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 - 3 StR 234/07
  37. BGH, Beschluss vom 7. September 2016 – 4 StR 221/16 Rdnr. 5
  38. BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg Stand: 1. Februar 2018, § 114 Rn 4
  39. RGSt 59,265
  40. Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Jahrbuch Band 2 Opfer, S. 31. Link zum Download auf der Website des BKA, abgerufen am 1. März 2019 (PDF, 599 KB)
  41. Statistisches Bundesamt: Rechtspflege, Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3, 2015, S. 128; [1] 2019, Seite 125
  42. [2] 2019, S. 92
  43. [3] 2019, S. 50
  44. [4] 2019, Seite 156
  45. [5] 2019, S. 200
  46. [6] 2019, S. 342
  47. [7] 2019, S. 399
  48. [8] 2019, S. 455
  49. Benedict Wermter und Daniel Drepper: Polizisten nur selten vor Gericht. Correctiv, 20. August 2015, abgerufen am 21. November 2018.
  50. Nana Heymann: Narben von der Staatsgewalt. Die Zeit, 4. März 2015, abgerufen am 21. November 2018.
  51. Julian Hans: München: Drogen-Skandal weitet sich aus - Ermittlungen gegen 21 Polizisten. Süddeutsche Zeitung, 23. September 2020, abgerufen am 24. September 2020.
  52. Wolf-Dieter Obst: Für prügelnde Polizisten kommt es noch dicker. Stuttgarter Nachrichten, 26. Januar 2017, abgerufen am 16. September 2020.
  53. angenommen auf der 33. Vollversammlung in Montreal vom 25. September bis 5. Oktober 2001, veröffentlicht im ICAO Circular 288-LE/1 – „Guidance Material on the Legal Aspects of Unruly/Disruptive Passengers“, 2002, S. 13
  54. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben BT-Drs. 15/2361 vom 14. Januar 2004, S. 23
  55. Steffen Kroschwald: Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen im Lichte der Grundrechte Universität Kassel 2012, S. 14 ff.
  56. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation BT-Drs. 17/10959 vom 10. Oktober 2012, S. 113 ff.