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Kindheit im Wandel der Geschichte
Antike und Mittelalter
Aus Grabbeigaben ist zwar bekannt, dass es für Herrscherkinder, wie die ägyptischen Pharaonen, durchaus den Luxus einer Kindheit gab. Entsprechende Spielzeuge sind überliefert. Konzepte einer allgemeinen Erziehung der Kinder kommen allerdings erst mit der griechischen und römischen Antike auf - zumindest soweit es überlieferte Quellen hergeben.
Ein besonders drastisches und aus heutiger Sicht abstoßendes Beispiel liefert der griechischen Stadtstaat Sparta. Die dort herrschende Kriegerkaste hatte ein Interesse daran, abgehärtete Kämpfer heranzuziehen und griff deshalb zu Methoden, die selbst zur damaligen Zeit außergewöhnlich waren. Die Grundsätze dieser spartanischen Erziehung soll der legendäre Gesetzgeber Lykurg gelegt haben. Demnach wurden die kräftigsten Männer und Frauen ausgewählt, um gemeinsam Nachwuchs zu zeugen. Ein älterer Mann durfte dazu seine jüngere Frau auch einem anderen Mann geben und anschließend das Kind als sein eigenes anerkennen.
Schon früh wurden die so gezeugten Kinder im Spiel und im Sportunterricht gestählt. Ammen kümmerten sich um ihre Erziehung. Der Dichter Plutarch berichtet: „Die Ammen gewöhnten die Kinder daran, mit jeder Speise vorlieb zu nehmen und allein gelassen selbst im Dunkeln ohne Furcht bleiben.“ Mit zwölf Jahren verließen die Jungen das Elternhaus und wurden in Jugendkasernen von älteren Jungen aufgezogen. Prügelstrafen waren üblich. Die jungen Kadetten mussten ohne Decken schlafen und wurden im Kampf unterrichtet. Nach dem Abschluss dieser Schulung gingen die Jungen in die Obhut eines erfahrenen Mentors über, gewöhnlich ein älterer Kämpfer. Dieser lehrte seinen Knappen das Kriegerhandwerk. Diese bis zum 18. Lebensjahr währende Einführung schloss auch sexuelle Beziehungen zwischen Meister und Schüler ein.
Auch den Mädchen wurde eine harte Kur zuteil. Sie sollten abgehärtet werden, um gesunde, kräftige Kinder zu gebären. Griechen aus anderen Stadtstaaten fiel vor allem die leichte Bekleidung der spartanischen Sportlerinnen auf, die als „Schenkelzeigerinnen“ verspottet wurden. Rechte hatten weder Jungen noch Mädchen, ebenso wenig die Eltern. Die Kinder gehörten laut Lykurgs Ausführungen dem Staat.
Weitaus gesitteter ging es in Athen zu. Ein Zitat des Athener Philosophen Sokrates (469 - 399 v. Chr.) lässt zumindest darauf schließen: „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“ Züchtigungen waren aber auch in Athen an der Tagesordnung. So empfiehlt der Philosoph Platon (427 - 347 v. Chr.), ungehorsame Kinder „mit Drohungen und Schlägen wie ein Stück verzogenes Holz“ zurechtzubiegen. Kinder, die ungewollt oder missgestaltet waren, wurde ausgesetzt. Beispiele dafür finden sich auch in griechischen Tragödien, wie etwa Ödipus beweist. Die Griechen werden im allgemeinen als Erfinder der allgemeinen Schule angesehen. Diese waren aber zumeist - wie in Athen - Bürgerkindern vorbehalten. Die Kinder kamen mit sieben Jahren in die Schule, die meist von einem einzelnen Lehrer abgehalten wurde. Fächer waren Schrift und Mathematik, Lyrik und Sport. Die Schulzeit dauerte in der Regel bis zum 16. Lebensjahr. Ältere Schüler wurden von Philosophen und Sophisten in Rhetorik und Naturwissenschaften weitergebildet. Diese verlangten für ihre Vorträge Geld. Herrscherkinder wie Alexander der Große wurden von berühmten Lehrern erzogen. Alexanders Lehrmeister war beispielsweise Aristoteles (384 - 322 v. Chr.). Mädchen wurden zuhause aufgezogen. Zugang zur Schule hatten sie nicht.
Das Beziehung zu den Eltern war nicht immer innig. Wer es sich leisten konnte, betreute Ammen und Sklaven mit der Aufzucht des Nachwuchses. In deren Obhut war eine unbeschwerte Kindheit aber durchaus möglich. Das belegen Vasenbilder mit spielenden Kindern und überlieferte Fabeln für den Nachwuchs. Sklavenkinder hatten ebenso wenig zu erwarten wie der Nachwuchs zugereister Fremder, die in Athen nicht das Bürgerrecht genossen.
Viele Aspekte der griechischen Erziehung finden sich auch im antiken Rom wieder. Die Römer holten sich nach der Eroberung Griechenlands zahlreiche griechische Lehrer für ihre Kinder ins Haus oder schickten den Nachwuchs auf griechische Schulen. So finden sich auch viele Aspekte des griechischen Familienlebens in Rom wieder. Rechte hatte nur der pater familias, das männliche Familienoberhaupt. Er ließ sich nach der Geburt das Neugeborene bringen und entschied, ob er es als sein Kind annahm oder nicht. Ausschlusskriterien waren dabei nicht nur körperliche Missbildungen sondern auch rein praktische Erwägungen: Konnte der Vater es sich leisten, noch ein Mädchen aufzunehmen, für dessen Heirat später eine Mitgift gezahlt werden musste? Kindsaussetzungen waren gerade bei armen Familien auch ein einfaches Mittel der Geburtenbeschränkung. Die abseits gelegenen Plätze, an denen ungewollte Kinder ausgesetzt wurden, waren allgemein bekannt. Kinderlose Frauen konnten dort ungewollte Babys an sich nehmen. Waisen die weniger Glück hatten, wurden von Unternehmern als billige Arbeitskräfte aufgenommen. Auch Bordelle fanden dort Nachwuchs. Selbst die Gründer des römischen Staates waren - der Sage nach - Waisen. Romulus und Remus wurden ausgesetzt und von einer Wölfin gesäugt.
Hatte der Vater ein Kind angenommen, hing man ihm die bulla, ein Amulett um, das es vor Schaden schützen sollte. Die Kindersterblichkeit war hoch. Das drückte den Altersschnitt. Wer das fünfte Lebensjahr überstand hatte aber große Chancen 60 Jahre und älter zu werden. Zum Ausgleich der hohen Kindersterblichkeit waren große Familien mit sechs bis sieben Kindern üblich. Wie in Griechenland waren auch in Rom Ammen beliebt. Sie kamen meist aus dem Sklavenstand und kümmerten sich auch weiter um das Kind, wenn es nicht mehr die Brust bekam. Zur Ernährung der Kleinkinder setzte man auf Ziegenmilch. Körperliche Züchtigung war üblich. 374 wurde erstmals ein Gesetz erlassen, dass die Kindestötung verbietet. Diese neue Idee fand in den kommenden Jahrzehnten allerdings wenig Beachtung.
Mit der Ausbreitung des Christentums in Europa setzte sich ein durchaus zwiegespaltenes Verhältnis der Gesellschaft zu Kindern durch. Zwar waren Kinder durchaus weiter gewollt und willkommen. Schließlich galt die Zeugung von Nachwuchs als höchster Ziel der christlichen Ehe. Zugleich wuchs aber auch die Skepsis gegenüber Neugeborenen und Kleinkindern. Der Kirchenvater Augustinus von Hippo (354 - 430) wies darauf hin, dass Säuglinge in Sünde geboren werden, da sie der sündigen Fleischeslust von Mann und Frau entspringen. Sie seien mit der Erbsünde Adams und Evas behaftet. Zudem sind sie laut, launisch, eifersüchtig und triebhaft. „Schwach und unschuldig sind nur die kindlichen Glieder, nicht des Kindes Seele“, schreibt Augustinus. Der verbreitete Aberglaube ging davon aus, dass der Teufel und Feen versuchen, Besitz von Säuglingen zu ergreifen. Deshalb legte man größten Wert darauf, dass die Kinder spätestens nach einer Woche getauft wurden. Säuglinge, die nach oder während der Geburt zu sterben drohten, sollten ebenfalls noch rasch getauft werden. Dafür gab es das Recht der Nottaufe, die jeder Erwachsene vollziehen konnte. Ungetauften Kindern kamen nach mittelalterlicher Auffassung in den Limbus.
Das Misstrauen gegenüber dem Kleinkind setzte sich in den ersten beiden Lebensjahren fort. Statt einer Windel hatten Kleinkinder oft eine Ganz-Körper-Bandage an. Diese sollte zum einen den Übergang vom warmen Mutterleib in die kalte Welt angenehmer machen. Zugleich fürchtete man, dass sich die Kleinen die Augen auskratzen, Knochen verrenken oder Ohren abbeißen würden, wenn sie sich frei bewegen konnten. Anstelle von Schnullern kannte man im Mittelalter sogenannte Lutschbeutel, die mit Mohn gefüllt war, was den Säugling schläfrig machen sollte. Verbreitet war auch der Gedanke, Kindern möglichst viel zu essen zu geben. Das entsprach der Erfahrung häufig drohender Hungersnöte. Kindern, die in guten Zeiten viel zu Essen bekamen, traute man eher zu, schlechte Zeiten zu überstehen.
Ammen waren auch im Mittelalter weit verbreitet. Begüterte Familien leisteten sich eine eigene Amme. Wer weniger Geld hat, gab das Kleinkind einer Amme, die gleich mehrere Mäuler zu stopfen hatte. In adeligen Kreisen ging das mancherorts sogar so weit, dass Kinder die ersten beiden Lebensjahren komplett bei einer Amme verbrachten und erst dann zu ihren Eltern zurückkehrten. Das erleichterte es den Müttern, in rascher Folge Kinder zu bekommen. Das war wegen der hohen Kindersterblichkeit nach wie vor ein erstrebenswertes Ziel. Gleichwohl gab es aber auch Familien, die um Geburtenkontrolle bemüht waren. Verhütung galt allerdings als heidnischer Zauber und Todsünde. Abtreibung, Aussetzung und Kindstötung galten ebenso wie Empfängnisverhütung als Mord. Dennoch waren sie nicht unüblich. Im süddeutschen Raum herrschte angeblich das Ertrinken ungewollter Säuglinge vor. Im Norddeutschen Raum kam es häufiger zu Lebendigbegrabungen mit Pfählung. Das sollte verhindern, dass die Geister der Toten zurückkehrten. Verlässliche Aussagen zur Häufigkeit solcher Vorfälle gibt es allerdings nicht.
Ein besonders abschreckendes Experiment berichtet eine Chronik aus dem Jahr 1285 über Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Er wollte herausfinden, welche Sprache Kinder sprechen, wenn ihnen niemand etwa vorspricht, von dem sie lernen können. Friedrichs Vermutung ging in Richtung des Hebräischen als ältester Sprache. Aber auch Griechisch, Latein oder Arabisch hätten möglich sein können. Um das herauszufinden ließ der Kaiser Neugeborene in einen Turm bringen. Dort durften die Ammen und Pflegerinnen ihnen Milch geben, sie stillen, baden und trockenlegen, aber auf keinen Fall sie liebkosen oder mit ihnen sprechen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Keines des Kinder überlebte.
Das Recht über die Kinder hatte der Vater. Er hatte für seinen Nachwuchs zu sorgen, auch wenn er einer unehelichen Beziehung entsprach. So war es gerade in Städten nicht unüblich, dass im Haushalt eine Reihe von Kindern lebte, die der Vater mit verschiedenen Frauen gezeugt hatte. Uneheliche Mütter konnten den Vater ihres Kindes sogar vor einem Kirchengericht auf Alimente verklagen. Im 15. Jahrhundert galt es vor allem im französischen Hochadel gar als schick, zahlreiche Bastarde zu zeugen. Diese konnten durchaus herausragende Positionen in Kirche und Militär erlangen. Eheliche Kinder erhielten jedoch stets den Vorzug. Gleichwohl gab es auch im Mittelalter Waisenhäuser, die solche Kinder aufnahmen, die keinen Anschluss fanden.
Die Kindheit teilte sich im Mittelalter generell in drei Phasen: infantia, puertia und adolescentia. Jede dauerte ungefähr sieben Jahre. Die ersten sieben Jahre verbrachte der Nachwuchs zuhause. Sie sind am ehesten mit heutigen Vorstellungen von Kindheit zu vergleichen. Die Kleinen wurden zuhause von ihren Eltern erzogen und noch weitgehend aus den häuslichen Pflichten herausgehalten.
Mit sieben Jahren stand die endgültige Entscheidung an, ob der Sohn einen kirchlichen oder weltlichen Weg einschlagen sollte. In jedem Fall stand mit sieben der Beginn der Schulzeit oder Ausbildung an. Auch in den Waisenhäusern ließ man Kindern bis zum siebten Lebensjahr Fürsorge zuteil werden. Mit sieben waren sie dann aber auf sich alleine gestellt. In vielen Bauern- oder Handwerkerfamilien war es allerdings auch schon mit vier bis fünf Jahren für Kinder an der Tagesordnung, ihre Mutter bei den täglichen Pflichten zu entlasten. Ab dem siebten Lebensjahr übernahm dann der Vater die Ausbildung seiner Söhne. Töchter wurden in der Regel auf das Führen des Haushalts hin ausgebildet. Allerdings gab es gerade in jungen Jahren sehr viele Tätigkeiten, die Jungen wie Mädchen gleichsam zu verrichten hatten. Schließlich mussten die Frauen auch auf dem Feld mitarbeiten.
Ziel der Erziehung sollte der fromme, im Dienst Gottes lebende Mensch sein. Dabei gehörte Züchtigung durchaus zu einem gebräuchlichen Mittel der Erziehung. Auf bildlichen Darstellungen von Lehrern findet sich häufig die Rute als wichtigstes Attribut. Der heilige Augustinus soll im Alter von 62 Jahren gesagt haben, er wolle lieber den Tod erleiden, als nochmals in die Schule zu gehen. Auch im Elternhaus war die Züchtigung wohl verbreitet. So schreibt Berthold von Regensburg 1260 in seinen Predigten: „Von der Zeit an, wenn das Kind die ersten bösen Worte spricht, sollt ihr ein kleines Rütlein bereithalten. Ihr sollt es aber nicht mit der Hand an den bloßen Schläfen schlagen, sonst könntet ihr es zu einem Toren machen.“
Schulen waren im frühen Mittelalter private Einrichtungen, für die Schulgeld bezahlt werden musste. Dorfpfarrer gaben gewöhnlich aber ein bis zwei begabten Kindern kostenlosen Unterricht. Zum Ausgleich waren die Kinder zu Ministrantendiensten in der Kirche oder zur Haushaltshilfe bei ihrem Lehrer verpflichtet. Unterrichtssprache war zunächst Latein. Erst ab dem 13. Jahrhundert kam Unterricht in Volkssprache auf. Mit dem dritten und vierten Laterankonzil erleichterte sich zudem der Zugang zu kirchlichen Schulen. Kindern ärmerer Familien wurde das Schulgeld erlassen. Unterrichtsinhalt war Lesen, Schreiben und ein wenig Mathematik. Begabte Schüler oder solche von reichen Familien konnten nach der Elementarschule höhere Lateinschulen besuchen. Ziel war hier vor allem das flüssige Erlernen der Gelehrtensprache Latein. Erst ab dem 16. Lebensjahr war der Besuch einer Hochschule üblich. Dies war aber nur wehr wenigen Vorbehalten.
Neben der weltlichen war auch eine kirchliche Laufbahn für Kinder möglich. Vor allem reiche und adlige Familien gaben häufig eines oder mehrere ihrer Kinder in ein Kloster. Dafür wurden vor allem Jungen ausgewählt, die zu schwach für eine Ritterausbildung erschienen. Oft waren es auch jüngere Geschwister, die keine Aussicht mehr auf einen Teil des Erbes hatten. Auch Mädchen wurden ins Kloster gegeben, wenn sie nicht für eine Heirat vorgesehen waren. Für solche Novizinnen mussten die Eltern eine Mitgift zahlen. Sie fiel aber kleiner aus als bei einer Eheschließung. Auch die Ausbildung zum Priester blieb meist den Sprösslingen des Adels oder der städtischen Bevölkerung vorbehalten. Schon mit sieben Jahren konnten Kinder die ersten, Niedere Weihen empfangen.
Es gab aber auch angenehme Seiten der Kindheit im Mittelalter. So gibt es viele Hinweise auf Spielzeuge, die den Kindern zugänglich waren. In schriftlichen Quellen wird aber immer wieder auf „geziemende“ Spiele hingewiesen, die auf keinen Fall „unsittlich“ sein dürfen. Weit verbreitet dürfte das Steckenpferd gewesen sein. Auch für Ball-, Fang und Tanzspiele gibt es Belege. Original erhaltene Spielzeuge sind im Wesentlichen Puppen und Figuren aus Ton. Diese fanden sich nicht nur in herrschaftlichen Anwesen sondern auch in Städten und Dörfern. Auch das Murmelspiel mit Tonkügelchen scheint beliebt gewesen zu sein. In einer Nürnberger Polizeiordnung aus dem 14. Jahrhundert ist derartiges „Wälzen“ und das Herumschießen von kleinen Geldstücken verboten. Offenbar waren solche Spiele aber auch bei den Erwachsenen beliebt. [1]
17. bis 19. Jahrhundert
Drei Faktoren führten zur Abkehr vom mittelalterlichen Erziehungs- und Kindheitskonzept: die Reformation, der Dreißigjährige Krieg und die Aufklärung. Die Vorstellung vom Menschen wandelte sich, die Gesellschaft und damit auch der Rahmen, in dem Kinder groß und Ziel der Erziehung wurden.
Am Anfang stand ein von der Kirche dominiertes und auf die Berufsausbildung ausgerichtetes System, am Ende die Erfindung der Pädagogik, der Kindheit als eigenständigem Lebensabschnitt, der allgemeinen Schulpflicht und des Kindergartens.
Den ersten Anstoß gab die Reformation mit Martin Luther (1483 - 1546). Er entzog der Kirche die Verantwortung für das Schulwesen und übertrug sie der politischen Obrigkeit. Das zuvor eng an die Pfarrkirchen und Klöster angegliederte Bildungswesen wurde in Folge gründlich reformiert. Die Reformation lag stattdessen den Grundstein für ein allgemeines Recht auf Bildung und Wissen. In Deutschland kümmerte sich vor allem Melanchton (1497 - 1560) um die Reform des Schulwesens, was ihm den Beinamen praeceptor germaniae, Lehrer Deutschlands, einbrachte. Melanchton trat für die allgemeine Schulpflicht ein. In den bisherigen Lateinschulen führte er drei Klassenstufen ein. Zusätzlich gründete er die Oberschule als Zwischenstufe hin zur Universität.
Auch Mädchen kamen nun in den Genuss schulischer Bildung. 1530 wurde in Wittenberg eine eigene Mädchenschule errichtet. In Genf erhielten Jungen und Mädchen an öffentlichen Schulen gemeinsamen und vor allen Dingen kostenlosen Unterricht.
Die Reformatoren sahen Bildung als Grundvoraussetzung für jeden Menschen, die Bibel zu verstehen und ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden. Damit änderte sich auch das Ziel der Erziehung. Sie war nicht mehr primär auf die Erlangung für den Beruf notwendiger Fähigkeiten ausgerichtet, sondern auf die geistige Entwicklung der Persönlichkeit. Zentraler Ort der Erziehung war im reformatorischen Sinne die Familie. Die Eltern hatten die Verpflichtung ihre Kinder zu allseits gebildeten Christen zu erziehen. In seinen Predigten wies Luther aber auch darauf hin, dass die Eltern dafür Sorge zu tragen haben, dass die Kinder zur Schule gehen.
Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618 - 1648) kam es zu einem Erliegen des Bildungswesens im weitgehend verwüsteten und entvölkerten Mitteleuropa. Es war aber zugleich der Neubeginn für das staatliche Schulwesen und der Ausgangspunkt neuer Bildungsziele. Geprägt von den Gemetzeln entstand 1632 die erste umfassende pädagogische Abhandlung. Johannes Comenius (1592 - 1670) forderte darin eine Allgemeinbildung für alle Menschen. Er hofft so ähnliche Katastrophen in Zukunft zu verhindern. Sein Ziel war es, allen alles zu lehren. Seine daraus abgeleitete Schulpflicht wurde in den kommenden hundert Jahren in den meisten deutschen Teilstaaten tatsächlich eingeführt.
Die Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg führte zu einer Verbreitung von Büchern und damit auch zum Aufkommen einer völlig neuen Gattung von Literatur: Kinder- und Jugendbücher. Ebenso neu war die Entwicklung von Spielzeug das erstmals nur für Kinder geschaffen ist. Auch frühere Zeiten kannte Spielzeug, dieses wurde aber oft von Kindern wie Erwachsenen gleichsam genutzt.
Einen vorübergehenden Rückschlag erfuhr die unbescholtene Kindheit durch die industrielle Revolution. In den Bergwerken und Fabriken wurden selbst Kinder schon als billige und willige Arbeitskräfte gebraucht. Das Kindheitsideal hielt sich allerdings in den gehobenen Schichten den Bürgertums und breitete sich im Laufe des 18. Jahrhunderts auch auf die unteren Gesellschaftsschichten aus. Die massenhafte Beschäftigung junger Frauen in der Industrie hatte nämlich zu einer Vernachlässigung der Kinder geführt.
Pestalozzi (1746 - 1827) gründete 1805 die erste Heimschule in Yverdon. Sie war so etwas wie ein Vorläufer für einen Kindergarten, auch wenn es sich immer noch hauptsächlich um eine Schule handelte. Kerngedanke war eine umfassende nicht auf Buchwissen beschränkte Bildung. Kinder sollten die Objekte selbst entdecken, bevor ihnen Sinn und Nutzen erklärt wurde. Im Schloss von Yverdon hatte Pestalozzi reichlich Platz für ein solches Konzept. Bis zu 250 Kinder aus ganz Europa, Russland und den USA wurden dort unterrichtet. Ähnliche Gedanken verbreitete später die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870 - 1952): „Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“
Mit Beginn des 18. Jahrhunderts vollzog sich ein tiefgreifender Einschnitt in den Familienstrukturen. Die Großfamilie des Mittelalters entwickelte sich über die Große Haushaltsfamilie zur Kleinfamilie. Das führte zu einer völlig neuen Rollenverteilung zwischen Vater, Mutter und Kind. In den Großfamilien war der Vater die unumschränkte Autorität. Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung sah vor, dass er nach außen hin repräsentierte, während die Frau im Haus das sagen hatte. Zur Familie gehörten zudem Gesinde, Diener, Ammen und Kinderfrauen. Arbeit und Familie fand häufig am selben Ort statt, so dass die Familie hier zumindest zum Teil eingebunden war.
Mit der Kleinfamilie ging eine räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben einher. Der Vater als Versorger wurde von der Familie getrennt. Gesinde wurde nicht mehr der Familie zugerechnet. Familie bezog sich nur noch auf die Einheit Vater, Mutter, Kinder. Mehrere Generationen unter einem Dach wurden über die kommenden Jahrhunderte zunehmend zur Ausnahme. Aus der Zweckgemeinschaft Familie wurde eine Familie als Liebesgemeinschaft. Das Eheleben erfand ebenso eine Aufwertung wie Kinder und Erziehung. Aus der klaren Autoritätsrolle des Vaters wurde zunehmend ein individualrechtlicher Vertrag zwischen zwei ideologisch gleichgestellten Partnern, da auch die Frau häufiger ins Arbeitsleben eingebunden wurde. Trotzdem setzte sich auch eine klare Rollenverteilung in der Erziehung durch: Der Vater stand für Autorität, die Mutter für Zuwendung. Ihr Oblag aber weiterhin der Haushalt, was sich auch in der Erziehung der Mädchen widerspiegelte. Ziel war die Förderung weiblicher Tugenden, die Erfüllung der Rolle als Gattin, Mutter und Hausfrau.
Der Mann hingegen hatte seine Rolle als Familienernährer auszufüllen. Er hatte stark, selbstständig, kühn und willensstark zu sein. Allerdings durfte er zumindest im Familienkreis Gefühle zeigen. Das war im Vergleich zum bisherigen Männerbild neu. Im Verhältnis zu seinen Kindern wurde der Vater zu einer Art väterlichem Freund und nicht mehr ausschließlich auf die Rolle des strafenden Familienoberhauptes festgelegt.
Auch die Rolle des Kindes wurde in der Kleinfamilie neu definiert. Dem Produkt der sich liebenden Eltern wurde zunehmend Individualität zugestanden. Das Neugeborene wurde nun von Geburt an als unschuldig und engelsgleich bewertet. Aufgabe der Eltern war es, dieses Kind vor dem Kontakt mit allem Bösen zu bewahren. Die Kinder der sich emanzipierenden bürgerlichen Schichten erfuhren deswegen ansatzweise eine neue Form der Pflege und Erziehung. Der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832) schrieb: „Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“
Nicht mehr die möglichst frühe Einbindung ins Erwachsenenleben stand im Vordergrund. Stattdessen entstanden Tendenzen, das Kind gewähren und sich frei entfalten zu lassen. Die gesteigerte Aufmerksamkeit der Eltern drückten sich in psychologischem Interesse, moralischen Bestrebungen, aber auch in einem neuen Bemühen um Hygiene und physische Gesundheit aus.
Persönliche Zuwendung und kindgemäßes Leben wurden als eigene Werte eingeführt. Das bedeutete im Umkehrschluss aber auch, dass Kinder verantwortlich für ihr eigenes Handeln wurden - und damit beispielsweise auch für ihre schulischen Listungen. Der tiefe Einschnitt in der Sicht des Kindes drückt sich auch in der neu entstandenen Kinder- und Jugendliteratur aus, die im 18. Jahrhundert vermehrt zu entdecken ist. Gleichzeitig entstand eine Fülle pädagogischer Schriften, die bei der Kindererziehung helfen sollten. Sie sind Ausdruck des gesteigerten Interesses am Kind. Der Pädagoge Neil Postman (1931 - 2003) drückt es folgendermaßen aus: „Die Kindheit wurde im siebzehnten Jahrhundert erfunden. Seit dem achtzehnten Jahrhundert begann sie die uns vertraute Form anzunehmen. Kindheit ist keine biologische Notwendigkeit, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt.“
Nicht die Kinder selbst hatten sich verändert, sondern die Bedeutung, die ihnen zugemessen wurde. Der Soziologe Martin Gomilschak schreibt: „Menschliche Beziehungen, auch die zwischen Mutter und Kind, haben und hatten immer emotionale Qualitäten, sie wurden nur anders wahrgenommen und geäußert. Nicht so sehr über Empathie und Sprache (wie es den modernen Lebensumständen entspricht) sondern durch Symbole und rituelle Verhaltensweisen.“
Begünstigt wurde das neue Konzept von Kindheit durch einen erheblichen Rückgang der Kindersterblichkeit. Die Angst, die Kinder durch einen frühzeitigen Tod zu verlieren, rückte für Eltern zunehmend in den Hintergrund. Das erleichterte es, eine intensive Beziehung mit dem Kind aufzubauen, ohne dass Verlustängste diese trübten. Da damit auch der Druck, möglichst viele Kinder zu gebären, wegfiel, entstand der nötige Raum, sich stärker um das einzelne Kind und seine Bedürfnisse zu kümmern. Das drückt sich auch in einer breiten Zahl von Veröffentlichungen zur Diagnostik und Therapie von Kinderkrankheiten aus.
Mit dem 18. und 19. Jahrhundert machte sich auch ein einschneidender Wandel in den Ansichten zur Erziehung breit. Es entwickelte sich eine eigene Wissenschaft der Pädagogik, die Theorie und Praxis der Erziehung und Bildung zum Thema hatte. Bis dahin war das Teil der Theologie gewesen. Ziel der in frühester Kindheit einsetzenden Erziehung war der gesunde, normengeleitete und vor allem vernünftige Mensch. Vernunft war das neue Regulativ der menschlichen Existenz. Sie sollte das triebhafte und schändliche Verlangen kontrollieren. Zentrales Problem der Pädagogik war daher die Beherrschung der Leidenschaften. Das Ideal des Kindes im 18. Jahrhundert verlangte „ein schamhaftes, sittsames, reinliches, gehorsames, wenn möglich stets beaufsichtigtes Etwas, das seine Triebe zu unterdrücken und seine Affekte zu regulieren weiß - in seinen Vergnügungen mäßig ist - und das auch ohne Aufsicht der Eltern tugendhaft handelt, das heißt, dessen Gewissen in allen Lebenslagen den emotionalen Bereich zu kontrollieren in der Lage ist.“ So hat es der Soziologe Christoph Thoma zusammengefasst. Vor allem Jungen sollten zu modernen, bürgerlichen Subjekten erzogen werden, die durch Selbstdisziplin, Selbstbeherrschung und Herrschaft über die eigene Natur bestachen. Der Philosoph Immanuel Kant (1724 - 1804) schrieb: „Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss.“
Beeinflusst wurde diese Einstellung zur Erziehung durch bedeutende philosophische Schriften der Zeit, maßgeblich durch John Lockes (1632 - 1704) Gedanken über Erziehung und Jean-Jacques Rousseaus (1712 - 1778) Emile. Locke bezeichnete das Bewusstsein des neugeborenen Kindes als tabula rasa (leere Tafel). Der Zustand seiner Seele sei frei von Eindrücken und Vorstellungen. Dieses unbeschriebene Blatt müsse nun durch eine sorgsame Erziehung mit den richtigen Inhalten gefüllt werden, um zu einer sittlichen Persönlichkeit zu gelangen. Locke nennt Tugend, Weisheit, gutes Benehmen und Wissen als Erziehungsziel. Schamloses und unbeherrschtes kindliches Verhalten ist demnach nicht länger ein Ausdruck des Fehlverhaltens des Kindes selbst, sondern ein Erziehungsfehler der Erwachsenen.
In seiner Emile forderte Rousseau, dass der Erzieher zu seinem Zögling herabsteigen und mit ihm lernen soll, anstatt, wie zuvor, über das Kind als Objekt frei zu verfügen. Rousseaus Erziehungskonzept beinhaltete, dass der Mensch erst zum Menschen erzogen werden muss, bevor er Bürger werden kann. Rousseau widmete sich der systematischen Ausbildung sämtlicher Anlagen und Fähigkeiten des Zöglings. Dabei stand der natürliche Entwicklungsgang im Mittelpunkt des Interesses. Aufgabe des Erziehers sei es, diesen von Störungen und schädlichen Einflüssen zu bewahren.
Auf diese Ansichten Lockes und Rousseaus bauten die Vertreter des Philanthropismus auf, einer der wichtigsten pädagogischen Strömungen in Deutschland im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Die Philanthropen wollten alle Menschen durch eine reformierte, natur- und vernunftmäßige Erziehung zu irdischer Glückseligkeit verhelfen. Das Erziehungsziel der Glückseligkeit sollte sich auf Individuum wie Gesellschaft gleichermaßen erstrecken. Die Anlagen des Kindes sollten über Beobachtung entdeckt und dann entsprechend gefördert werden. Johann Heinrich Pestalozzi (1745 - 1827) erklärte deshalb die frühkindliche Erziehung zu einem wesentlichen Faktor, um aus Trieb- Vernunftwesen zu formen.
Mit dem Ende der Großfamilie waren auch eine Reihe von Einschnitten für die Kinder verbunden. Zum einen fehlte ihnen der Kontakt zu einem weiteren sozialen Umfeld. Zum anderen hatten aufgrund der Landflucht in die Städte viele Kinder der dortigen Kleinfamilien keinerlei Zugang mehr zur Natur. Beiden Problemen sollte mit der Einführung von Kindergärten begegnet werden.
Die erste Einführung einer Art von Kindergarten war allerdings einem Industriellen zu verdanken. Der Schotte Robert Owen (1771 - 1885) erkannte die Notwenigkeit einer Einrichtung, die den Frauen die Kinderbetreuung abnahm. Sie wurden schließlich als Arbeitskräfte in seiner Baumwollspinnerei benötigt. Owens „child care institution“ orientierte sich an den Ideen Pestalozzis. Alle Kinder zwischen zwei und sechs Jahren gingen in die „infant school“. Bücher waren dort nicht erlaubt. Stattdessen stand singen, tanzen und Spielen im Freien auf dem Plan. Eine Erzieherin beaufsichtigte das Treiben. Die größeren Kinder wurden in die richtige Schule geschickt. Mit zehn Jahren arbeiteten sie tagsüber und gingen anschließend mit den Erwachsenen auf die Abendschule.
In Deutschland zog mit dem 19. Jahrhundert eine weitere Komponente in die Erziehung ein. Ausgehend von Preußen setzte eine Militarisierung der Gesellschaft ein, die auch die Kinder erfasste. „Wer sein Kind liebt, der züchtigt es“, so ein Wahlspruch des wilhelminischen Deutschland. Zucht und Ordnung, Befehl und Gehorsam waren die Schlagworte. Der Rohrstock galt Lehrern wie Vätern als gängiges Erziehungsmittel. Rechtlich gesehen blieben Frauen und Kinder Eigentum des Vaters. [2]
1900 bis 1945
Das 20. Jahrhundert beginnt treffenderweise mit der schwedischen Reformpädagogin Ellen Key (1849-1926), die im Jahr 1900 das Jahrhundert des Kindes ausruft. Die Reformpädagogik wendet sich gegen die autoritäre Erziehung der bisherigen Zeit. Heftige Angriffe werden laut, kritische Schriften veröffentlicht gegen die Seelenlosigkeit der Erziehung, das Pauken und den Drill im Unterricht, gegen das ständige Reglementieren und die Züchtung von Untertanengeist und stupidem Gehorsam im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Das Kind soll in den Mittelpunkt rücken. Schüler bekommen erste Mitbestimmungsrechte, Erziehung soll vom Kind aus gedacht werden und nicht mehr von der Rolle, die es in der Gesellschaft erfüllen soll. Gebremst wurden die Reformen zunächst durch den Ersten Weltkrieg (1914-1918).
Sein Ende bedeutete aber gerade in Deutschland einen Startschuss zu neuen Ansätzen in Pädagogik und Erziehung. Tatschule, Arbeitsunterricht, Schulgemeinde, Waldschulen oder Gruppenunterricht wurden diskutiert und ausprobiert. In Berlin entstand eine ganze Reihe von Versuchsschulen oder Freien Schulen. Die Verfassung der Weimarer Republik griff die Ideen auf und setzte auf eine demokratische Pädagogik. Schüler sollten zu Staatsbürgern statt Untertanen erzogen werden. Der „Deutsche Lehrerverein“, in dem die überwiegende Mehrheit aller Volksschullehrer organisiert war, verabschiedete im Juni 1919 ein schulpolitisches Programm: Einheitsschule, Chancengleichheit und Trennung der Schule von der Kirche. Letzteres scheiterte allerdings vielerorts am Widerstand der konfessionellen Volkschulen.
Als eine Art Laboratorium der Moderne hat die Weimarer Republik zudem die Ganztagsschule erstmals in Deutschland erprobt. „Nach dem Ende des 1. Weltkrieges ergaben sich für die Entwicklung reformpädagogisch geprägter moderner Ganztagsschulen neue Impulse", führt der Erziehungswissenschaftler Prof. Harald Ludwig in einem Überblicksbeitrag zur Geschichte der Ganztagsschule im „Jahrbuch Ganztagsschule 2004“ aus. Geistige und praktische wie körperliche Bildung sollten nicht mehr getrennt werden. Eine Hochburg für derartige Experimente war Berlin. So vertrat der Berliner Stadtschulrat Jens Nydahl in den 20er Jahren die Ansicht, dass die Lebensgemeinschaftsschule „neben den Sammelschulen die Lösung der schöpferischen Kräfte im Kinde als ordnender Grundsatz aller Schularbeit vielleicht am klarsten zum Ausdruck“ bringe.
Ein weiteres Kennzeichen der reformpädagogischen Wandlungen war die Betonung des Selbstbestimmungsrechtes der Kindern und Jugendlichen. Sie wurden in Schulbeteiligungsformen umgesetzt. 1925 entstand beispielsweise das erste Schullandheim der Stadt Berlin bei Zossen mit einer Kapazität für 1000 Schüler. Es bildete sich aber auch eine romantisch verklärte Jugendbewegung. Die Sehnsucht nach Freiheit und Natur mündet in selbstorganisierten Fahrten und Wanderungen. Ein Beispiel ist die Pfadfinderbewegung, die sich weltweit bis heute gehalten hat. Das erste experimentelle Pfadfinderlager wurde 1907 von Robert Baden-Powell (1857-1941), einem britischen General, auf dem englischen Brownsea Island durchgeführt.
Prägend für das erste Viertel des 20. Jahrhunderts sind aber vor allem die Fortschritte in Sachen Kinderrechte. 1919 gründete die englische Lehrerin und Krankenschwester Eglantyne Jebb zusammen mit ihrer Schwester Dorothy Buxton den „Save the Children Fund“ in London. Die beiden Schwestern sammelten vor allem Spenden, um Kindern in Deutschland und Österreich zu helfen, die unter den Folgen des Ersten Weltkrieges litten. Ziel der Organisation war es außerdem, die Rechte von Kindern durchzusetzen. 1923 formulierte Jebb deshalb erstmalig solche Rechte. Die Lehrerin wollte Bedingungen schaffen, die es jedem Kind ermöglichen, frei von Armut, Hunger und Gewalt aufzuwachsen. Die von ihr verfassten Grundsätze wurden 1924 vom Völkerbund als „Genfer Erklärung“ verabschiedet. Dazu gehören das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, Recht auf Bildung und Entfaltung der Persönlichkeit, aber auch der Schutz der Familie und die staatliche Unterstützung bei Erziehungsproblemen. Im Gegensatz zur Gewalt in der Erziehung früherer Jahrhunderte bekommen Kindern zudem einen Schutz vor körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt bescheinigt.
Rechtliche Fortschritte gab es zudem für Frauen und Mütter. Die erste Frauenbewegung erreichte, ausgehend von den USA, England und Finnland, um die Jahrtausendwende auch Deutschland. Ziele waren die Einführung des Wahlrechts für Frauen und bessere Bildungschancen. Eine der wichtigsten Figuren in Deutschland war Clara Zetkin (1857-1933). Sie rief 1907 in Stuttgart die „Sozialistischen Fraueninternationale“ zusammen. Ein Erfolg war die Einführung des Internationalen Frauentages, der erstmals am 1. März 1911 begangen wurde. Das Frauenwahlrecht wurde 1918 mit der Weimarer Verfassung rechtlich verankert.
All diese Veränderungen und Verbesserungen fanden mit der Machtergreifung Adolf Hitlers (1889-1945) 1933 ein rasches Ende. Der totalitären Führungsanspruch der Nationalsozialisten wurden auch Kindheit, Erziehung, Pädagogik ja sogar die Freizeitgestaltung unterworfen. Wer die Jugend hat, hat die Zukunft, so das Verständnis der NSDAP. Entsprechend wurden die Kinder bereits frühzeitig in Parteiorgansiationen und Schulen erfasst und ideologisiert, um aus ihnen Parteisoldaten oder, im Fall der Mädchen, treue Ehefrauen und Mütter zu machen.
Dabei setzten die Nationalsozialisten auf eine Umkehrung des liberalen Erziehungsprogramms der Weimarer Republik. Gleichzeitig bauten sie aber auch einige der Ansätze und Errungenschaften der Reformpädagogik für ihre Zwecke ein. Statt Individualismus sollte nun allerdings Gemeinschaftssinn, statt Denkfähigkeit Gefolgschaftstreue, statt Aufklärung und Einsicht Glaube und Hingabe vermittelt werden.
Dabei wurde gerade im Bereicht der Erziehung nicht nur auf Repression oder Manipulation gesetzt. Die Nationalsozialisten machten sich im Gegenteil etwa die Jugendbewegeung zu nutze und versuchten, einen jugendlichen und frischen Geist zur Schau zu tragen, der einen Teil der Kinder und Jugendlichen durchaus zu begeistern wusste. Die NS-Propaganda gab sich als Sprachrohr der Jugendlichkeit. Ihre Ikonen von Hitler bis Goebbels war Mitte 30 bis Anfang 40, konnte daher Praloen wie „Macht platz, Ihr Alten!“ durchaus vermitteln.
Dieser Jugendwahn wurde zwar nach der Machtergreifung 1933 abgemildert, der Erziehung der Kinder und Jugendlichen galt jedoch weiterhin eine große Aufmerksamkeit. Die traditionellen Erziehungsinstanzen Elternhaus und Schule wurde durch weitere wie die Hitlerjugend ergänzt, die ganz bewusst erstere Aushöhlen sollte. „Lager und Kolonne“ bezeichnete Erziehungsminister Bernhard Rust (1883-1945) als die Einrichtungen, durch die man Nationalsozialisten erziehen könne. Das entsprach einem Anti-Intellektualismus, der auch von Hitler propagiert wurde: „Stark und schön will ich meine Jugend. Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus ihren Augen blitzen.“ Entsprechend fanden Sport und militärischer Drill einen großen Raum in Schule wie Hitlerjugend.
Um die ideologische Erziehung der Jugend zu gewährleisten, setzte der NS-Staat auf ein systematisches Programm der Erfassung. Nur bis zum sechsten Lebensjahr blieben die Kinder in der Obhut ihrer Eltern. Dann folgte die Volksschule und mit zehn Jahren der Eintritt in das Jungvolk beziehungsweise die Jungmädel. Parallel zu Lehre oder Höherer Schule folgte mit 14 Jahren der Übertritt in die Hitlerjugend oder den Bund deutscher Mädel. Mit 18 Jahren folgten Arbeitsdienst oder Wehrdienst.
Die Hitlerjugend als zentrales Erziehungsorgan in der nationalsozilischen Vorstellung knüpfte bewusst an die Jugendbewegung an. Statt freier Entfaltung und Natursinn stand bei der HJ allerdings Kameradschaft und der Aufmarsch vor dem Führer im Vordergrund. Prinzipien wie „Jugend muss durch Jugend geführt werden“ wurden zwar ebenso übernommen, wie Uniformen, Geländespiele und Liedgut. Nach der Machtergreifung setzte die Hitlerjugend aber sehr rasch durch, dass die Konkurrenz aus Pfadfindern oder Deutscher Freischar verboten wurde. Lediglich an katholische Gruppen traute man sich zunächst nicht heran. Ab 1937 wurden aber auch sie praktisch lahm gelegt.
Der „Jugendführer des Deutschen Reiches“ Baldur von Schirach (1907-1974) baut das Netz der Aktivitäten für die Hitlerjugend immer weiter aus. Mittelpunkt war der wöchentliche Heimabend jeder NSDAP-Ortsgruppe. 1934 wurde zudem der Samstag zum Staatsjugendtag erklärt. Das bedeutete schulfrei für HJ-Mitglieder, die stattdessen Wanderungen und Wehrsport betrieben. Im Radio gab es eine „Stunde der Jungen Nation“, die das Gedankengut der HJ in fast jedes Haus brachte. Zudem wurde die HJ zum Spendensammeln, Aufräumdiensten oder bei der Erntehilfe eingesetzt. Das alles ging stets mit weltanschaulicher Schulung einher. Beispielsweise mussten Jungvolkpimfe bei Sportübungen die Geschichte der NSDAP aufsagen oder Hitlers angebliche Erfolge rezitieren.
So gelang es der NSDAP eine ganze Generation zu indoktrinieren. Hitler selbst hat die Ziele 1938 so dargestellt: „Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben und diese Mädchen mit ihren zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort zum ersten mal eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei. [...] Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.“
Zum Zweck dieser Vereinnahmung wurden auch Lehrer und Schulen auf nationalsozialistischen Kurs gebracht. Zum einen erhoben die uniformierten HJ-Mitglieder einen Anspruch auf bevorzugte Behandlung im Unterricht. Zudem wurde von staatlicher Seite Druck auf den Lehrkörper ausgeübt. Nur wer Mitglied des NS-Lehrerbundes wurde, durfte weiter unterrichten, was zwischenzeitlich zu einem Mangel an Lehrkräften führte. Auch bei den Unterrichtsinhalten setzte die Partei an. Deutsch, Geschichte, Biologie und Geografie wurden zur reinsten Ideologiekunde ausgebaut. Rassenlehre, Verherrlichung des Soldatentums, Helden- und Kriegsdichtung standen im Vordergrund. Ein Beispiel aus dem Mathematik-Lehrbuch: „Ein Irrenhaus kostet XXX Reichsmark, wie viele deutsche Familien könnten davon eine Wohnung bekommen?“ Viele Fächer wie Physik blieben vom Führungsanspruch der Staatsführung aber unberührt. Und auch in den bevorzugten Fächern kam im Schulalltag längst nicht alles so an, wie es von der Partei verordnet wurde. Die totale Kontrolle über die Erziehung gelang somit in der Schule weitaus weniger als in der Hitlerjugend.
Erfolgreicher waren da schon Internatsschulen wie die nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napola) und Adolf-Hitler-Schulen. Hier sollte die Elite für die Zukunft ausgebildet werden. Das Eintrittsalter lag bei zehn Jahren. Aufgenommen wurde man nur auf Empfehlung aus Partei oder Hitlerjugend. Charaktererziehung, Indoktrination und Vermittlung des Nationalsozialismus standen hier im Vordergrund. Allerdings blieb auch die Wirkung dieser Einrichtungen insgesamt gering, da es gerade einmal 30 im gesamten Land gab.
Ganz anders erlebten natürlich diejenigen die NS-Zeit, die nicht den rassischen Vorstellungen der Herrschenden entsprachen, also Juden, Sinti, Roma und politische Wiederständler. Zunächst wurden jüdische Schulen eingerichtet für die Kinder, die nicht mehr an staatlichen Lehranstalten unterrichtet wurden. Auch jüdische Lehrer, die aus dem Schuldienst entlassen wurden, fanden hier zu Beginn noch Anstellung. Diese Ansätze wichen aber rasch dem Vernichtungs-Feldzug der Nationalsozialisten. Auch für anders denkende Lehrer und Schüler, die sich nicht dem Parteidiktat beugen wollten, wurden die Repressionen zunehmend grausamer.
Auch vor der Familie selbst wollte die NS-Erziehungsideologie nicht Halt machen. Die Herangehensweise war allerdings zwiespältig. Einerseits wurde das Ideal der Familie propagiert, die möglichst viel Nachwuchs für die „Herrenrasse“ hervorbringen sollte. Dies wurde etwa durch eine Ledigensteuer oder Strafsteuern für Ehepaare, die nach fünf Jahren noch keinen Nachwuchs vorweisen konnten, gefördert. Zudem bekamen heiratswillige Paare Darlehen und mussten weniger Geld zurückzahlen, je mehr Kinder sie bekamen. Andererseits misstrauten die NS-Ideologen aber der elterlichen Erziehung und versuchten, die einzelnen Familienmitglieder so oft wie möglich in ihre ideologischen Parteistrukturen zu binden. Zudem wurde durch Erziehungsschriften wie beispielsweise der Ärztin Johanna Haagers (1900-1988) versucht, den Aufbau einer liebevollen Beziehung zwischen Eltern und Kind zu verhindern. Die Härte des Nationalsozialismus sollte von Anfang an an die Kinder weitergegeben werden. Schreien und flehen der Kleinkinder sollte deshalb in keinem Fall nachgegeben werden.
Deutlich wird der Widerspruch gerade in der Erziehung der Mädchen. Sie sollten zur Mutter und Führerin des Haushalts erzogen werden. Praktisch lernten sie jedoch durch die Vereinnahmung im Bund deutscher Mädel eine ganz neue Freiheit kennen, die der traditionalistischen Frauenideologie völlig widersprach. Frauen waren außerhalb der Familie in Organisationen tätig, was bisher nur Männern und den wenigen Frauen in der sozialistischen Emanzipation vorbehalten war. Frauen konnten nun ihre Verbände selbst verwalten und genossen durch die zahlreichen Partei-Feste und -Aufmärsche zumindest zum Teil auch ganz neue Bewegungs- und Reisefreiheiten. Daheim sollten sie allerdings auf die Rolle als Mutter beschränkt sein, die sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern hatte.
Zu den schlimmsten Auswüchsen solcher Eingriffe in die Familien zur NS-Zeit zählt die unter den Bedingungen des Bombenkrieges praktizierte Kinderlandverschickung. Ganze Schulkassen wurden aufs Land gebracht, wo sie vor den Bomben geschützt ausgebildet und unterrichtet wurden. Ein bewusster Nebeneffekt war natürlich auch hier die Trennung von der Familie und die bessere Möglichkeit zur Indoktrination. Ein weiteres Extrembeispiel ist die „Aktion Lebensborn“. Es wurden Heime eingerichtet, in denen ledige Frauen ihre Kinder zur Welt bringen konnten, ohne sich der gesellschaftlichen Ächtung aussetzen zu müssen. Voraussetzung war die Vorlage des Ariernachweises. Die rund 8000 Kinder, die in diesen Heimen geboren wurden, gab man parteitreuen Familien, vorzugsweise der SS, zur Adoption. Im Laufe des Krieges ging die SS zudem dazu über, Kinder in den besetzten Ländern zu verschleppen, sofern sie dem arischen Aussehen entsprachen. Ihre Herkunft wurde verschleiert, um sie dann ebenfalls in das Adoptionsprogramm zu integrieren. [3]
Ab 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des Nationalsozialismus waren die Besatzungsmächte bemüht, das deutsche Bildungs- und Erziehungssystem grundsätzlich umzukrempeln. Diese Bemühungen fielen in den späteren Teilstaaten BRD und DDR allerdings höchst unterschiedlich aus.
In den drei westlichen Besatzungszonen setzte ein umfassendes Re-Education-Programm ein, das sich zunächst allerdings primär auf die Erwachsenen bezog, die zu Demokraten umerzogen werden sollten. Auch im Bildungssektor wurde eine Demokratisierung der Schulen angestrebt, allerdings nur in Teilen umgesetzt.
In der BRD war Bildung von Beginn an Sache der Bundesländer, was zu einem bunten Wirrwarr unterschiedlichster Ansätze führte. Vom Grundschema blieb es allerdings bei einem dreigliedrigen Schulsystem, bei dem auf die Volks- oder Grundschulen Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien aufbauten. Relativ bald nach Inkrafttreten des Grundgesetzes machten sich die Bildungspolitiker allerdings daran, zumindest grundlegende Bildungsstandards zu formulieren, an die sich alle Länder halten sollten. Ein wichtiger Meilenstein war das Düsseldorfer Abkommen von 1955. Es legte fest, dass alle Höheren Schulen den Namen Gymnasium bekamen. Englisch wurde Pflichtfach. Bis zum Abitur mussten zudem obligatorisch zwei Fremdsprachen erlernt werden. Einheitlich wurde zudem der Rahmenplan für Schulferien, die Anerkennung von Abschlüssen und die Notenskala von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend).
In den Familien war das erste Nachkriegsjahrzehnt durch die Nachwirkungen des Krieges geprägt. Überleben und Anpassung an die neue Zeit standen im Vordergrund. Familienleben erfuhr durch die traumatischen Ereignisse des Krieges eine starke Aufwertung. „Man sehnte sich nach Lebenswerten, die einzulösen, der Famile zugesprochen wurde“, so die Soziologin Rosemarie Nave-Herz. Trümmerfrauen, deren Männer tot oder in Gefangenschaft waren, mussten ihr Leben selbst organisieren und kamen so zwangsläufig zu neuen Freiheiten. Die Umstände hatten auch für Kinder und Jugendliche ein rasches Erwachsenwerden zur Folge. Mit der Rückkehr der Kriegsgefangenen entstand ein großes Konfliktpotenzial zwischen den mittlerweile selbstständigen Frauen und ihren Gatten, die noch das alte autoritäre Familienbild ihrer Erziehung kannten. Es kam zu Zuständigkeitsstreitigkeiten.
Was die Familienstrukturen anbetraf, setzte sich der Trend zur Kleinfamilie immer stärker fort. Das lässt sich auch an der statitisch erfassten Personenzahl pro Haushalt ablesen. Im Jahr 1900 waren es noch 4,49 Personen, 1950 schon 2,99, 1970 2,74 und 1985 weniger als 2,50 Mitglieder pro Familie. Die nach dem Krieg zunächst gestiegene Heiratsneigung der Deutschen nimmt seit 1950 kontinuierlich ab. Zudem steigt das Heiratsalter seit 1970 stetig an. Das politische Verständnis knüpfte 1945 unmittelbar an das bürgerliche Familienmodell der Hausfrauenehe an. Berufstätige Mütter wurden im Westen mit Beginn der Wohlstandsjahre zunächst nicht mehr als gewünscht empfunden. Das sollte sich erst mit den 1960er Jahren wieder ändern.
Im Osten Deutschlands verliefen die Anfangsjahre in vielen Punkten anders. Das sozialistische Bildungssystem war von Beginn an zentralisiert. Ziel war eine bewusste Abgrenzung von Nationalsozialismus und preußischem Bildungswesen. Sichtbarstes Zeichen war die Einführung der Einheitsschule anstelle des dreigliedrigen Schulsystems. Im Zentrum des Systems stand die allgemeinbildende Polytechnische Oberschule (POS), die alle Klassenstufen von der 1. bis zur 10. unter einem Dach vereinte und einen naturwissenschaftlich-technischen Schwerpunkt hatte. Das Notensystem gliederte sich von 1 (sehr gut) bis 5 (ungenügend). Hinzu kamen Kopfnoten für Betragen, Fleiß, Mitarbeit und ab 1978 Gesamtverhalten. Die POS wurde mit Prüfungen in Russisch, Deutsch, Mathematik, und einer Naturwissenschaft abgeschlossen, hinzu kamen eine Sport- und mehrere mündliche Prüfungen. Privatschulen gab es in der DDR bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen nicht. Bildung und Erziehung waren ein Monopol des Staates.
Die Anfänge des Bildungssystems der DDR waren von Problemen gekennzeichnet. Hauptproblem waren die Lehrer. Rund 71 Prozent waren ehemalige NSDAP-Mitglieder. Die Richtlinien der sowjetischen Besetzer und späteren Schulbehörden sahen vor, dass alle Lehrer mit NS-Vergangenheit zu entlassen waren. Da auch die meisten Lehrmittel ideologische Ansichten des Hitler-Regimes enthielten, brach das Schulsystem bis etwa September 1945 vielerorts komplett zusammen. Abhilfe wurde mit der Einstellung von Neulehrern geschaffen, die sich aus Jüngeren und Heimkehrern aus der Kriegsgefangenschaft zusammensetzen sollten. In den nächsten Jahren wurden rund 40.000 Menschen eingestellt, die oft bereits eine Berufsausbildung besaßen. Sie wurden in Schnellkursen zu Lehrern gemacht. Dabei wurde vereinzelt auch auf reformpädagogische Ansätze der Weimarer Republik zurückgegriffen, was im Schulalltag aber keinen Niederschlag fand. Die Neulehrer der 1940er und 1950er Jahre bildeten bis in die 1980er Jahre hinein das Rückrat der Pädagogen in der DDR.
Das Bildungsgesetz von 1965 formuliert das Ziel, „allseitig und harmonisch entwickelte sozialistische Persönlichkeiten“ herauszubilden. Dadurch wird bereits deutlich, dass das gesamte Erziehungswesen der DDR ideologisch aufgeladen war. Neben der Vermittlung sozialistischer Weltanschauung und Informationen über den kapitalistischen Klassenfeind wurde auch Wehrunterricht Teil des Lehrplans. Fächer, die man so im Westen nicht kannte, waren UTP, ein Unterrichtstag in der Produktion, und ESP, die Einführung in die sozialistische Produktion. Langjährige Volksbildungsministerin war von 1963 bis 1989 Margot Honecker.
Vor allem für die höheren Bildungswege war eine staatstreue Gesinnung, in Form von Parteimitgliedschaft, Wehrdienst und Herkunft der Eltern wichtig. Auf die POS folgte für einen Teil der Schüler die Erweiterte Oberschule (EOS), die nach zwei Jahren mit dem Abitur abgeschlossen werden konnte. Dieses befähigte zur Aufnahme eines Studiums, das nur etwa zehn Prozent eines Jahrgangs offen stand. Für jeden Abiturienten hielt die Regierung einen Studienplatz bereit, allerdings nicht immer in der gewünschten Richtung.
Ein markanter Unterschied zwischen Ost und West, der teilweise bis heute fortbesteht, war das Kita- und Kindergartensystem. In der DDR wurden Kinder oft schon mit wenigen Monaten in die Kita gegeben. Das war staatlich so gewünscht und zudem praktisch für die Eltern, die in der Regel beide berufstätig waren. Ab vier Jahre gingen DDR-Kinder in den Kindergarten, der anders als im Westen einen klaren Bildungsauftrag hatte. Kindergartenerzieherinnen vermittelten Mengenlehre, Malen, Singen und bildnerisches Gestalten.
Kinder in der DDR hatten generell jüngere Eltern als in der BRD. 18-jährige Mütter waren keine Ausnahme. Wer heiratete und Kinder bekam, hatte bessere Aussichten auf eine der begehrten eigenen Wohnungen. Bei zwei gleichgeschlechtlichen Kindern standen einem eine Einzimmerwohnung und bei zwei verschiedengeschlechtlichen Kindern eine Zweizimmerwohnung zu. Eine Familie zu gründen war daher der einfachste Weg von zu Hause auszuziehen. Zudem erleichterten die Kitas Frauen eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein weiterer Anreiz zur Zeugung von Nachwuchs war finanzieller Natur: Jedes Paar, das heiratete, erhielt vom Staat ein zinsloses Darlehen von 2000 Mark. Wenn dieses Pärchen dann ein Kind bekam, erhielt es 1000 Mark geschenkt und musste die Hälfte des zinslosen Darlehens nicht zurückzahlen. Auch beim zweiten Kind erhielt man 1000 Mark und musste vom zinslosen Darlehen nichts zurückzahlen.
Rechtlich waren Mütter und Väter in der DDR gleichgestellt. Das wurde schon mit der Verfassung 1950 verfügt und zudem ab 1965 weiter ausgebaut. Familie wurde als gesellschaftlich schützenswert deklariert. „Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die rechtliche Ausgestaltung der Gleichberechtigung der Frau im Familienrecht der DDR früher und konsequenter als in der BRD durchgesetzt worden ist“, resümiert die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach. Der Gesetzgeber der DDR wollte einen „historisch neuen Familientyp“ schaffen, der sich durch stabile Gemeinschaft, gegenseitige Liebe und Achtung, sowie Gleichberechtigung auszeichnete. Die Praxis der gesellschaftlichen Ordnung hat dies allerdings zum Teil deutlch konterkariert.
In der Freizeitgestaltung zeigt sich ein weiterer Unterscheid zwischen West und Ost. BRD-Kinder konnten aus einer Vielzahl von Angeboten auswählen: kirchliche Gruppen, Vereine oder auch die nach dem Ende des NS-Verbotes wieder in Westdeutschland etablierten Pfadfinder. In der DDR war die wichtigste Jugendgruppe hingegen staatlich organisiert. Im ersten Schuljahr kamen die meisten Kinder zu den Jungpionieren. Markenzeichen waren das blaue Halstuch, weißes Hemd und Pionierkäppi. Von der 4. bis zur 7. Klasse war man dann Thälmannpionier und trug ein weißes Hemd, aber diesmal mir einem roten Halstuch. Beide Organisationen (Jung- und Thälmannpioniere) wurden von der FDJ (Freie Deutsche Jugend) geführt. Ab Klasse 8 wurden Kinder dann FDJler. Kleidung diesmal ein blaues Hemd mit einem Emblem drauf. Die wenigen Kinder, die nicht bei den Pionieren waren, etwa weil sie aus kirchlich geprägten Familien kamen, mussten bereits im Schüleralter Benachteiligungen ertragen.
Ein wichtiger Einschnitt im Leben der Heranwachsenden Kinder war im konfessionell geprägten Westen die katholische Erstkommunion beziehungsweise die evangelische Konfirmation. Als Gegenstück erfand die DDR-Regierung die Jugendweihe, die mit 14 Jahren gefeiert wurde. Abseits des jeweiligen Hintergrundes verliefen die Festivitäten in Ost und West jedoch verhältnismäßig ähnlich: schicker Anzug, Geschenke und ein Festessen mit der Familie.
Einschneidend für Bildung und Erziehung in Westdeutschland war der Sputnik-Schock von 1957. Der sowjetische Satellit signalisierte einen vermeintlichen Vorsprung der sozialistischen Staaten. Georg Picht prangerte aufsehenerregend die „Bildungskatastrophe“ der BRD an. Der Philosoph Ralf Dahrendorf kritisierte die fehlende Erziehung zu demokratischen Bürgern. Eine Folge der Kritik war die Schaffung des Deutschen Bildungsrates, dessen Strukturplan für das deutsche Erziehungswesen maßgeblich wurde.
Aufgegriffen wurde die Kritik am westdeutschen Erziehungswesen auch in den Studenten-Revolten der 1960er und 1970er Jahre. Besondere Aufmerksamkeit erlangte die antiautoritäre Erziehung. Nach Jahren, die immer noch von Drill und Disziplin geprägt gewesen waren, drängten die jungen Eltern auf ein Kontrastprogramm. In freien Schulen und Kinderläden sollten die Kinder zu Ungehorsam und Kritikfähigkeit erzogen werden. Die Gründungen der ersten Kinderläden erfolgten 1968 in Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main und Hamburg. Auf die antiautoritäre Erziehung folgte die Antipädagogik. Sie forderte dazu auf, Kinder in ihrer Entwicklung sich selbst zu überlassen. Erziehung wurde als ein Zeichen von Unsicherheit, als eine Art Notwehr von Erwachsenen gegenüber den Kindern gesehen. Extreme Vertreter betrachten Erziehung sogar als eine Art Gehirnwäsche.
Mitte der 70er Jahre kommt in Westdeutschland auch die Debatte um Kinderrechte wieder auf. Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 wurden zwar einzelne auf Kinder bezogene Rechte verbindlich: unter anderem der Schutz der Familie (Art. 6) und das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2). Dabei blieben aber die Kinder selbst unerwähnt. 1973 wird in den bundesdeutschen Schulen die körperliche Züchtigung verboten - wobei nach einem OLG-Urteil in Bayern ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht besteht. In der DDR war die Züchtigung übrigens schon seit 1949 verboten. Auch seit der Wende zieht sich die Debatte weiter hin. Der zum 1. Juli 2000 in Kraft getretene § 1631/2 BGB schreibt das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung fest. Explizite Kinderechte im Grundgesetz fehlen aber weiterhin.
Was Mütter- und Elternrechte anbetrifft, hat seit der Nachkriegszeit ebenfalls einiges geändert. Wichtig waren auch hier die einschneidenden 1970er Jahre im Westen. Vor allem das Thema Abtreibung kam auf die Tagesordnung. „Wir haben abgetrieben!“ war die Titelschlagzeile der Zeitschrift Stern am 6. Juni 1971. 374 prominente und nicht prominente Frauen gaben öffentlich zu, abgetrieben zu haben. Die Aktion wurde von Alice Schwarzer initiiert, um gegen den § 218 des Strafgesetzbuchs anzukämpfen, der zu dieser Zeit Schwangerschaftsabbrüche noch unter Strafe stellte. 1972 gelang in der DDR die Verabschiedung einer Fristenlösung zum Schwangerschaftsabbruch, nach der der Abbruch innerhalb der ersten drei Monate erlaubt ist. Es war das einzige Gesetz, das jemals in der von der SED gelenkten Volkskammer Gegenstimmen erhielt. Abgeordnete der Fraktion der Ost-CDU stimmten aus religiösen Gründen dagegen. 1974 schließlich wurde die Fristenlösung auch in der Bundesrepublik eingeführt. Sie lässt einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft straffrei.
1979 wurde zudem der Mutterschaftsurlaub für erwärbstätige Mütter eingeführt – ungefähr zeitgleich mit dem Mutterjahr in der DDR. Dort hatte es zuvor lediglich eine dreimonatige Auszeit nach der Geburt gegeben. Anfang der 1980er Jahre waren zwei Drittel der West-Frauen nach wie vor nicht berufstätig. Dann setzte allerdings ein rascher Anstieg der Zahl arbeitender Frauen ein.
Damit einhergehende Veränderungen innnerhalb der Gesellschaft lassen sich auch statistisch erfassen. Die Zahl der Kinder in Deutschland nimmt stetig ab. Beginn dieser Entwicklung ist der sogenannte Pillenknick, der in Deutschland etwa 1965 einsetzt. Das trifft zeitlich mit der Verbreitung der Anti-Baby-Pille zusammen. Der Trend zur Zwei- oder Ein-Kind-Familie schlägt ebenfalls demografisch zu Buche.
Mit der Wende 1989 wurde ein Großteil der westdeutschen Erziehungsvorschriften auf die Neuen Länder übertragen. Dennoch blieben Unterschiede, etwa bei der Dichte der Kindertagesstätten, deren flächendeckende Verbreitung im Westen erst durch Gesetzgebung der aktuellen Regierung verwirklicht werden soll. Das Schulwesen bleibt weiterhin Ländersache. Allerdings zeigen auch hier die letzten Jahre, dass mit dem über Jahrzehnte in Deutschland geführten Glaubenskrieg um dreigliedriges oder eingliedriges Schulsystem nicht alle Fragen beantwortet sind. Die seit 2000 im Drei-Jahres-Turnus durchgeführten PISA-Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben Deutschland seine Bildungsschwächen im Vergleich mit anderen Nationen deutlich vor Augen geführt. Damit verbunden ist eine neue Bildungsdabette, die mit der Schaffung von Ganztagsschulen keinesfalls beendet scheint. [4]