Konstantin von Neurath

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Konstantin Freiherr von Neurath als Reichsprotektor in Böhmen und Mähren (1939)
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Konstantin von Neurath als Corpsstudent in Tübingen, um 1896

Konstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath (* 2. Februar 1873 in Kleinglattbach; † 14. August 1956 im Leinfelder Hof bei Enzweihingen) war ein deutscher Diplomat im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Er wurde 1932 Außenminister und blieb dies bis 1938 auch in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Zwischen 1939 und 1943 war er Reichsprotektor in Böhmen und Mähren.

Neurath gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof angeklagten Personen und wurde am 1. Oktober 1946 in allen vier Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt, aus der er 1954 vorzeitig entlassen wurde.

Herkunft, Familie, Werdegang

Neurath wurde am 2. Februar 1873 in Kleinglattbach/Vaihingen an der Enz als ältester von drei Söhnen einer württembergischen Adelsfamilie geboren. Sein Vater Konstantin Sebastian Freiherr von Neurath (1847–1912) war königlich württembergischer Oberkammerherr, Chef des Kammerherrenstabes und Gutsbesitzer, seine Mutter Mathilde (* 1847; † 1924) entstammte dem Rittergeschlecht der Freiherren von Gemmingen.

Nach dem Abitur absolvierte Neurath seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger im Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württembergisches) Nr. 125.

Er studierte danach Rechtswissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. 1894 wurde er Mitglied (später Ehrenmitglied) des Corps Suevia Tübingen.[1] Im Jahr 1897 bestand er das Referendar-Examen, im Folgejahr trat er in den württembergischen Justizdienst ein.

Ab 1903 war er königlich württembergischer Kammerjunker, ab 1910 Kammerherr. In der Württembergischen Armee war er ab 1898 Sekondeleutnant, ab 1909 Oberleutnant der Reserve.

Am 30. Mai 1901 heiratete er die Bankierstochter Marie Auguste Moser von Filseck (1875–1960) in Stuttgart. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Konstantin Alexander (1902–1981), der zunächst die Diplomatenlaufbahn einschlug und nach dem Zweiten Weltkrieg zur deutschen Wirtschaft wechselte, und Winifred (1904–1985), die 1926 den Politiker Hans Georg von Mackensen heiratete.

Karriere als Diplomat

Nach bestandenem Assessor-Examen wurde Neurath 1901 in die konsularische Laufbahn des Auswärtigen Dienstes einberufen. Zwischen 1903 und 1908 war er Vizekonsul im deutschen Generalkonsulat in London, anschließend kehrte er wieder in das Auswärtige Amt nach Berlin zurück. Durch Protektion Kiderlen-Waechters gelang ihm zum Jahreswechsel 1912/13 der Wechsel in die diplomatische Laufbahn. Als Legationsrat in der Politischen Abteilung wurde er 1914 zum Botschaftsrat in Konstantinopel ernannt, allerdings trat er diesen Posten erst im Frühjahr 1915 an, da er zuvor als Reserveoffizier im Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119 am Ersten Weltkrieg teilnahm. Im Osmanischen Reich erlebte Neurath den Völkermord an den Armeniern vor Ort mit.

Auf eigenen Wunsch wurde er zum Jahresende 1916 aus dem Reichsdienst entlassen. Er übernahm von seinem Onkel Julius von Soden den Posten als Chef des Zivilkabinetts des württembergischen Königs. Bis zur Novemberrevolution von 1918 blieb er engster Berater von König Wilhelm II. von Württemberg.

Am 13. Dezember 1919 kehrte er mit Genehmigung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert in den diplomatischen Dienst zurück und wurde Gesandter in Kopenhagen, bekleidete von 1921 bis 1930 den Posten des Botschafters in Rom und kehrte in der Zeit von 1930 bis 1932 als Botschafter nach London zurück.

Reichsaußenminister

Bereits nach dem Tod von Gustav Stresemann 1929 favorisierte Reichspräsident Paul von Hindenburg Neurath als neuen Außenminister, seine Berufung auf diesen Posten war allerdings zu diesem Zeitpunkt aufgrund fehlender parlamentarischer Unterstützung nicht möglich. Erst als Hindenburg im Juni 1932 ein nicht mehr auf den Reichstag gestütztes Präsidialkabinett unter Franz von Papen bildete, avancierte Neurath zum Außenminister dieses „Kabinetts der Barone“. Er behielt sein Ministeramt auch in den folgenden Kabinetten Schleicher und Hitler als Exponent einer konservativen Fachbeamtenschaft bei. Bei sonst loyaler Mitarbeit innerhalb der Regierung Hitler ist bekannt, dass von Neurath sich 1935 ebenso wie seine Kabinettskollegen Gürtner, Blomberg und Frick für die von der Gestapo festgehaltenen Rechtsanwälte einsetzte, die die Witwe des im Zuge der politischen Säuberungswelle beim sogenannten Röhm-Putsch ermordeten katholischen Politikers Erich Klausener vertraten, was zu deren Entlassung aus der Haft beitrug.

Neurath stand für eine konservativ-revisionistische deutsche Außenpolitik und trug den immer stärker von Hitler vorgegebenen Kurs der NS-Außenpolitik (z. B. den Austritt aus dem Völkerbund, die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder die Wiederbesetzung des Rheinlandes) aktiv mit. Hitler wiederum profitierte nicht nur von Neuraths Reputation im Ausland, sondern auch von der Expertise der von ihm angeleiteten Ministerialbürokratie. Die Handlungsfreiheit des Auswärtigen Amts wurde jedoch durch die Konkurrenz des im Hintergrund agierenden NS-Außenpolitikers Joachim von Ribbentrop und dessen Dienststelle Ribbentrop ab etwa 1936 immer stärker eingeschränkt.

Anlässlich des 4. Jahrestages der Machtergreifung verlieh Hitler an alle parteilosen Kabinettsmitglieder das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP, wodurch Neurath Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.805.229) wurde. Am 18. September 1937 erhielt er den Rang eines SS-Gruppenführers (SS-Nr. 287.680), der dem Rang eines Generalleutnants entsprach. Bereits vorher war er Mitglied der von Hans Frank gegründeten nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht geworden.[2]

Bis 1937 trug Neurath eine „Politik der Stärke“ mit, die zur Annexion Österreichs, im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten beider Länder auf die Gleichschaltung Österreichs abzielte und schließlich in das Berchtesgadener Abkommen mündete. Doch gegen Kriegspläne, wie sie Hitler auf der Hoßbachkonferenz vom November 1937 verkündete, erhob er Einwände. Im Zuge der Blomberg-Fritsch-Krise wurde Neurath am 4. Februar 1938 zum Präsidenten des niemals zusammengetretenen Geheimen Kabinettsrates[3] „befördert“ und als Außenminister durch seinen parteiinternen Konkurrenten Ribbentrop ersetzt. Formal gehörte Neurath bis zum 30. April 1945 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich der Reichsregierung an.

Reichsprotektor in Böhmen und Mähren

Nach der sogenannten Zerschlagung der Rest-Tschechei und dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag am 15. März 1939 wurde Neurath – möglicherweise als Beschwichtigungsgeste gegenüber den Briten – Reichsprotektor in Böhmen und Mähren,[4] wo er unter anderem für die Unterdrückung der politischen Kultur der Tschechen und die Durchsetzung der Nürnberger Gesetze zuständig war. Hitler hielt Neurath jedoch für nicht brutal genug, um die zunehmende tschechische Widerstandsbewegung zu unterdrücken. Er beurlaubte ihn deshalb im September 1941 zunächst dauerhaft, um seine Vollmachten an den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich bzw. nach dessen Ermordung durch tschechische Widerstandskämpfer Mitte 1942 an Kurt Daluege zu übertragen. Im August 1943 entsprach Hitler den wiederholten Entlassungsgesuchen Neuraths im Zuge eines größeren Revirements: Heinrich Himmler wurde zum Reichsinnenminister befördert und Neurath formell von dem Amt des Reichsprotektors entbunden, das der bisherige Reichsinnenminister Wilhelm Frick übernahm.

Im Juni 1943 war Neurath zum SS-Obergruppenführer befördert worden, was dem Rang eines Generals entsprach. Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er von Hitler eine Dotation in Höhe von 250.000 Reichsmark.[5]

Angeklagt in Nürnberg

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Konstantin von Neurath während des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses (ca. 1946)

Am 6. Mai 1945 wurde Neurath von französischen Truppen gefangen genommen und dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg überstellt. Dort wurde er 1946 wegen „Verschwörung gegen den Weltfrieden, Verbrechen gegen den Frieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

Auf Initiative des Vatikans und mit Billigung der Sowjets wurde Neurath Anfang November 1954 vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Spandau entlassen. Vorher hatten die Sowjets alle Bemühungen um Entlassung oder Hafterleichterung strikt abgelehnt.

Nach seiner Entlassung aus der Haft am 6. November 1954 verbrachte Neurath die letzten zwei Lebensjahre auf seinem Gut Leinfelder Hof bei Enzweihingen.

Parteiinterne Auszeichnungen

Literatur

  • Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2.
  • Hans-Jürgen DöscherNeurath, Constantin Freiherr von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 178 f. (Digitalisat).
  • John L. Heineman: Hitler's first foreign minister. Constantin Freiherr von Neurath, diplomat and statesman. California University Press, Berkeley 1979, ISBN 0-520-03442-2.
  • Jeffrey Herf: Nazi propaganda for the Arab world. Yale University Press, New Haven 2009, ISBN 978-0-300-14579-3 (über die Nazifizierung der Außenpolitik in Nahost durch v. Neurath, passim).
  • Hans-Adolf Jacobsen: Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938. Frankfurt am Main/ Berlin 1968, S. 20–45.
  • Lars Lüdicke: Das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis und die »Hohe« Politik. Anmerkungen zur Entlassung Constantin von Neuraths im November 1954. In: Michael C. Bienert, Uwe Schaper, Andrea Theissen (Hrsg.): Die Vier Mächte in Berlin. Beiträge zur Politik in der besetzten Stadt. (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Band 9). Berlin 2007, ISBN 978-3-9803303-1-2, S. 197–216.
  • Lars Lüdicke: Griff nach der Weltherrschaft. Die Außenpolitik des Dritten Reiches 1933–1945. (= Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Band 8). Be.bra-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89809-408-5, S. 20–98.
  • Lars Lüdicke: Constantin von Neurath. Eine politische Biographie. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-77838-3.
  • Frank Raberg: Das Aushängeschild der Hitler-Regierung. Konstantin Freiherr von Neurath, Außenminister des Deutschen Reiches (1932–1938). In: Michael Kißener (Hrsg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg. UVK, Konstanz 1997, ISBN 3-87940-566-2, S. 503–538.

Weblinks

Commons: Konstantin von Neurath – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1960, 129, 508.
  2. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 434.
  3. verfassungen.de (Memento des Originals vom 10. November 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.verfassungen.de
  4. Ian Kershaw: Hitler. Band 2: 1936–1945. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2000, ISBN 3-421-05132-1, S. 640: Es heißt in (nicht: von) Böhmen und Mähren; siehe auch Archivierte Kopie (Memento vom 19. September 2011 im Internet Archive) dort S. 2 (abgefragt am 16. Januar 2011).
  5. Gerd R. Ueberschär, Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frankfurt 1999, ISBN 3-10-086002-0.