Deutsches Literaturinstitut Leipzig

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Eingang zum Deutschen Literaturinstitut, Wächterstraße 34 (2010)

Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig (DLL) an der Universität Leipzig bietet eine Universitätsausbildung für Schriftsteller im deutschen Sprachraum. Neben dem Studiengang „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ der Universität Hildesheim und dem Studiengang „Sprachkunst“ an der Universität für angewandte Kunst Wien stellt das Literaturinstitut die einzige Möglichkeit dar, an einer deutschsprachigen Universität literarisches Schreiben zu studieren. Das sechssemestrige Studium umfasst die Fächer Prosa, Lyrik und Dramatik/Neue Medien. Seit dem Wintersemester 2006/2007 ist eine Bachelor/Master-Studienordnung in Kraft. Das DLL befindet sich im Musikviertel in der Villa Wächterstraße 34.

Geschichte

Literaturinstitut „Johannes R. Becher“

Ehemalige Villa Reißig in der Karl-Tauchnitz-Straße 8, in die das Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ 1955 einzog (1952)

1955 wurde in Leipzig nach einem Sekretariatsbeschluss des Zentralkomitees der SED das Institut für Literatur mit dem Ziel gegründet, die ideologische und künstlerische Ausbildung der Schriftsteller zu fördern.[1] Das Institut erhielt 1958 den Hochschulstatus und wurde 1959 nach Johannes R. Becher benannt. Sein Sitz war von 1955 bis 1993 das Haus Karl-Tauchnitz-Straße 8. Die Lehre an dem Institut knüpfte an die Interessen junger Autoren an: Seminare für Lyrik, Prosa und Dramatik standen im Mittelpunkt der Ausbildung. Daneben wurden Lehrveranstaltungen angeboten, die den geistigen Horizont erweitern und das literarische Schaffen stimulieren sollten: deutsche Literatur, Weltliteratur, sowjetische Literatur, Ästhetik, Kulturwissenschaft, Stilistik, Literaturkritik, Kunst- und Musikgeschichte sowie das an allen DDR-Hochschulen obligatorische Fach Marxismus-Leninismus.

Zum Studium gehörten auch jährliche Praktika im VEB Braunkohlenwerk Regis. Höhepunkte der Semester waren Werkstattlesungen vor dem Institutsplenum, bei denen Studenten ihre Texte unter Verzicht auf jegliche zusätzliche Kommentierung vortrugen und der öffentlichen Kritik aussetzten.

Neben dem Direktstudium am Literaturinstitut gab es auch die Möglichkeit eines Fernstudiums (postgraduales Studium). Studenten dieser Studienform trafen sich alle vier Wochen zu Präsenzveranstaltungen an drei Wochenendtagen.

Aufgabe des Institutes war die Erziehung von Schriftstellern zum Sozialistischen Realismus im Sinne der SED. Dennoch herrschte im Schutz des staatlichen Institutes eine Atmosphäre relativer Offenheit, die eine ansehnliche Zahl auch international anerkannter Autoren hervorbrachte.

Die zentrale Gestalt des Institutes war über anderthalb Jahrzehnte der Lyriker Georg Maurer, der von 1955 bis 1970 die Lyrik-Seminare leitete und eine ganze Generation junger DDR-Dichter prägte (Sächsische Dichterschule).

Im Sommer 1968 veranstaltete eine Gruppe von Studenten des Literaturinstitutes, darunter Heidemarie Härtl, Gert Neumann, Siegmar Faust und Andreas Reimann, eine illegale Lyrik-Lesung auf dem Leipziger Elsterstausee. Bei dieser Lesung wurde Wolfgang Hilbig als talentierter Dichter „entdeckt“. Das Ministerium für Staatssicherheit wertete die als harmloser poetischer Austausch geplante Veranstaltung als umstürzlerisches Treiben und bewirkte die Exmatrikulation, den Parteiausschluss bzw. die Inhaftierung einiger Studenten.[2]

Der Freistaat Sachsen löste das Literaturinstitut per Beschluss zum 31. Dezember 1990 mit der Begründung auf, das Studienangebot entspräche nicht den Anforderungen einer freiheitlichen Gesellschaft bzw. eines demokratischen Rechtsstaates und der sozialen Marktwirtschaft. Der Unterricht sei auf die Ideologie sowie die Staats- und Gesellschaftsordnung des real existierenden Sozialismus festgelegt gewesen. Die letzten Absolventen des Literaturinstitutes erhielten ein „Diplom für literarisches Schreiben“.

Aufgrund von Protesten der Studenten (u. a. Besetzung des Instituts vom 1. bis 6. Januar 1991), der Widerstände von Abgeordneten, Wissenschaftlern und zahlreichen Schriftstellern, unter ihnen Hans Mayer und Walter Jens, musste das Sächsische Staatsministerium neu über das Literaturinstitut nachdenken. In dem Ergebnis entstand ein Konzept, nach dem das alte Institut aufzulösen und ein neues zu gründen sei. 1993 erfolgte die Abwicklung des laufenden Lehrbetriebs.

Deutsches Literaturinstitut

Unter dem Dach der Universität Leipzig wurde das Deutsche Literaturinstitut wieder gegründet, das 1995 den Lehrbetrieb aufnahm. Seit 1999 wird die Funktion der Leitung durch einen geschäftsführenden Direktor wahrgenommen, in der sich die Professoren des Institutes abwechseln. Im Wintersemester 2006/2007 löste der Bachelor-Studiengang Literarisches Schreiben den Diplomstudiengang ab. Das Studienangebot gliedert sich in Theorie- und Praxisseminare. Literaturgeschichtliche und -theoretische Grundlagen bilden für die Studenten die Voraussetzung, um die Struktur von Texten verstehen und kritisieren zu können. Über konkrete Arbeit an Texten hinaus dienen Werkstattseminare der kritischen Kompetenzerweiterung. Den Studenten wird die Möglichkeit geboten, sich in unterschiedlichen Textformen auszuprobieren. Neben Seminaren zu Prosa, Lyrik und Dramatik gibt es Veranstaltungen zum journalistischen Schreiben, zum Hörspiel, oder z. B. zum Werbetexten. Da jedes Jahr nur ca. 20 Bewerber angenommen werden und die Lehrveranstaltungen zum größten Teil im selben Haus stattfinden, herrscht unter den Studenten ein reger Austausch.

Einmal im Jahr erscheint die Anthologie „Tippgemeinschaft“, in der sich die Studenten der Leserschaft vorstellen.

2005 wurde das Institut mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet.

Institutsdirektoren

Professoren und Dozenten

Als Dozenten sind oder waren u. a. tätig:

Bekannte Absolventen (Johannes-R.-Becher-Institut)

Bekannte Absolventen (Deutsches Literaturinstitut)

Literatur

  • Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ (Hrsg.): Zwischenbericht. Notate und Bibliographie zum Institut für Literatur „Johannes R. Becher“, Leipzig. Bibliographisches Institut, Leipzig 1980 (Chronologie, Eröffnungsrede, Mitarbeiterverzeichnis, Absolventenverzeichnis mit deren Veröffentlichungslisten u. a.).
  • Gerrit Bartels: Punkrock als Nährboden. In: Bella triste (ISSN 1618-1727), Jahrgang 2005, Nr. 12.
  • Josef Haslinger, Hans-Ulrich Treichel (Hrsg.): Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller? Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-12395-5.
  • Michael Lentz (Hrsg.): Schreiben Lernen in Leipzig. Deutsches Literaturinstitut Leipzig. In: Akzente, Jahrgang 2007, Heft 2 (April 2007).
  • Michael Lentz (Hrsg.): Neue Rundschau: Prosa Leipzig. Heft 1/2010. Fischer, Frankfurt am Main 2010.
  • Petra Rantsch: Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig. In: Das Leipziger Musikviertel. Verlag im Wissenschaftszentrum Leipzig, 1997, ISBN 3-930433-18-4, S. 90 ff.
  • Sebastian Weirauch: Das Digitalisierungs- und Textarchivprojekt »Das Literaturinstitut der DDR 'Johannes R. Becher' von 1955–1993« – Ein Arbeitsbericht. In: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 22 (2020), S. 109–116.
  • Isabelle Lehn, Sascha Macht und Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Göttingen 2018, ISBN 978-3-8353-3232-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Michael Lentz: Vorwort. In: Neue Rundschau: Prosa Leipzig. Heft 1/2010. Fischer, Frankfurt am Main 2010, S. 9.
  2. Ralph Grüneberger/Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik: Katalog zur Ausstellung „gegen den Strom“, 2004.
  3. Dozenten und Lehrende - Deutsches Literaturinstitut Leipzig. Abgerufen am 15. November 2020.
  4. Hans-Joachim Föller: Gestern IM, heute Redakteur beim MDR. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Oktober 2000, Seite 51
  5. Isabelle Lehn, Sascha Macht, Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus: Das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“, Wallstein-Verlag 2018

Koordinaten: 51° 20′ 1,7″ N, 12° 22′ 3″ O