Usus modernus pandectarum

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Der usus modernus pandectarum, verkürzt usus modernus, bezeichnet in einem vornehmlich auf Deutschland bezogenen und engeren Sinne eine Epoche in der Rechtsentwicklung ab dem 16. bis zum 18. Jahrhundert.[1] Geprägt war die Zeit von Reformationsbewegungen, Glaubenskriegen und vom Beginn der Aufklärung und dem Humanismus, Kulturereignisse, mit denen sich die Rechtswissenschaft erst arrangieren musste, denn mit bloßer Übernahme des römischen Rechts im Wege der Rechtsrezeption war es nicht mehr getan. Der usus modernus strebte eine praxistaugliche Gemeinrechtswissenschaft an. Methodisch verstand er sich als Gebrauch des römischen Rechts unter den zeitgemäßen Gesichtspunkten einer aristotelisch geprägten Scholastik. In Abgrenzung zu den heimischen Lokalrechten (iura propria) war das gesamte gemeine Recht (ius commune) einbezogen. In einem weiteren Sinne wird die Zeit ab der Spätantike bis zu den kontinentaleuropäischen Kodifikationen begrifflich erfasst.

Mit dem usus modernus setzte die Verwissenschaftlichung des Rechtslebens in Theorie und Praxis ein, was als dessen Hauptleistung angesehen wird, Den Arbeiten der Glossatoren und den ihnen nachfolgenden Kommentatoren hatten sich vornehmlich um rationalisierende Auslegungs- und Interpretationshilfen des spätantiken Corpus iuris civilis bemüht. Den Juristen des usus modernus war an einem funktionierenden Verkehrsrecht gelegen, was aufgrund der Komplexität seiner Tatbestände die eingehende Berücksichtigung des Willens und der Absichten der Beteiligten erforderte. Daraus entstand eine gemeinrechtliche Dogmatik, welche die Grundlagen für moderne Privatrechtsordnungen legte. Neben den römischen, wurden die germanischen, kanonischen und naturrechtlichen Rechtssätze einbezogen und daneben modernes Gesetzes- und (richterliches) Gewohnheitsrecht berücksichtigt. Die Gesamtheit der Einflüsse war dann der Nährboden für eine einheitliche Rechtsordnung.

Begriffliche Abgrenzung und Namensherkunft

In einem weiten Sinne bezeichnet der usus modernus die gesamte Zeitspanne ab dem Ende der Spätantike (Corpus iuris civilis) bis zu den modernen zivilrechtlichen Kodifikationen, in der das aufgezeichnete römische Recht in Wissenschaft, Lehre und Praxis von den europäischen Juristen als geltendes Recht behandelt wurde. Bei dieser Betrachtungsweise setzt der usus modernus des römischen Rechts im 12. Jahrhundert in Italien mit der Rechtsschule der Glossatoren ein und endet mit den Kodifikationen Ende des 19. Jahrhunderts. Neben den Arbeiten der Glossatoren (etwa 1100 bis 1250) werden dann auch die der Kommentatoren (etwa 1250 bis 1500), der Juristen der humanistischen Jurisprudenz (etwa 1500 bis 1600), des Naturrechts (1650–1800), des hier aufzuzeigenden usus modernus im engeren Sinne (etwa 1650 bis 1800) sowie die der Pandektenwissenschaftler (etwa 1800 bis 1900) unterschieden und einbezogen. Moderne Strömungen im Sinne des Begriffs waren sie schon deshalb, weil sie den Gehalt von römischen Texten entweder verallgemeinerten, oder im Laufe der Zeit zunehmend eingeschränkt auslegten und interpretierten, sodass es – mehr oder weniger bewusst – eigenen Vorstellungen angepasst wurde.

Der usus modernus im engeren Sinne begann in den Grundzügen hingegen im 16. Jahrhundert und endete mit den großen naturrechtlichen Kodifikationen, etwa dem preußischen allgemeinen Landrecht, dem Code civil oder dem ABGB. In dieser Zeit rezipierte Deutschland das römisch-kanonische Recht, das anderswo, etwa in Italien und Frankreich, längst für die Rechtspraxis alltagstauglich gemacht worden war. Das dabei entstandene ius commune sorgte für ein Rechtsfundament, auf dem Rechtslehre und Rechtsprechung aufbauen konnten.[2] Ausgangspunkt für den eng verstandenen usus modernus war nach allgemeiner Auffassung ein Formalakt, die Eidesformel, die Richter ab 1495 vor dem Reichskammergericht zu leisten hatten.

Der Name dieser Epoche entstammt dem Titel des Werks Specimen usus moderni pandectarum (1690–92) von Samuel Stryk, einem Hauptvertreter dieser Stilrichtung. Der eigentliche Begriff ist schwer zu übersetzen, „moderner Gebrauch der Pandekten“ trifft es kaum, da hier die Bedeutung des Wortes „usus“ zu wenig zum Ausdruck kommt. „Usus“ ist ein Fachbegriff des römischen Rechts. Er bezeichnet die längere Anwendung einer Regel oder einen andauernden Brauch mit der Folge, dass daraus Gewohnheitsrecht entsteht. War bisher das Corpus Iuris Civilis mangels entgegenstehendem Partikularrecht unwiderlegbar, konnte jetzt die Geltung jedes Textes in Frage gestellt werden.[3] Man musste für jeden Lehrsatz den Nachweis seiner praktischen Rezeption bringen. Dies führte zu einem selbständigen deutschen Rechtsbewusstsein und war nach Franz Wieacker der Anfang der deutschen Rechtsgeschichte.[4]

Räumlicher Umfang der Lehre

Klaus Luig spricht von „großen Schwierigkeiten“, die sich bei einer näheren inhaltlichen und zeitlichen Konturierung des usus modernus stellen.[5] Es ist daher trotz der Herkunft des Namens aus dem Titel eines Werks des deutschen Juristen Samuel Stryk wenig sachgerecht, eine Begrenzung auf das Gebiet des heutigen Deutschlands vorzunehmen. Der usus modernus war an keine Staatsgrenze gebunden, sondern eine „gesamteuropäische Epoche der Rechtswissenschaft“.[4] Der Niederländer Matthias Wesenbeck hielt in Deutschland seine Vorträge, während der Deutsche Johann Jacob Wissenbach in Holland tätig war. Das Werk von Hugo Grotius zum römisch-holländischen Recht, die Inleidinge tot de Hollandsche rechts-geleerdheid, wurde auch in Deutschland stark beachtet und über die Zitate im Werk des viel gelesenen Arnold Vinnius auch in Spanien und Südamerika diskutiert. Einer der bedeutendsten Juristen der Niederlande, Johannes Voet, begann seine Lehrtätigkeit an der Hohen Schule Herborn. Man wird daher alle jene Juristen als Vertreter des usus modernus ansehen, die auf den Glossatoren und Konsiliatoren Italiens aufbauend, eine „theoretisch-praktische“ Vorgehensweise anwendeten und dabei versuchten, das römische mit dem einheimischen Recht zu verbinden.

In seinen Ursprüngen beruht der usus modernus auf der konsiliatorischen Rezeption der bartolistischen Arbeitsweise und Methodik. Bartolus hatte hergebrachtes und einheimisches Recht zu „zeitgenössisch modernem Recht“ verschmolzen.[6] Im Kern interessierte die deutschen Assimilatoren, ob die im Corpus iuris enthaltenen Regelungen Geltung für die deutsche Rechtspraxis überhaupt beanspruchen durften und damit den eigenen Ansprüchen Genüge getan sein würde, um einen gemeinrechtlichen Wissenschaftsbetrieb voranzubringen. Nach Übereinkünften aus der Diskussion wurde das römische Recht als subsidiär wirkendes Gewohnheitsrecht in das gemeine Recht eingebracht. Für die Zwecke der Wissenschaft wurde nur überliefertes Recht herangezogen, um dies in geschriebenes Recht überzuleiten. Dabei wurde Recht anschaulicher und auch begrifflich logischer gefasst. Der Modernisierungsprozess des Rechts verhalf auch der Gesellschaft zu ihrer Modernisierung.[7]

Söllner fasst die gewählten Literaturtypen des usus modernus kategorial etwa so zusammen: Einerseits wurden Kommentare zum Gemeinen Recht geschrieben. Dieser eher neue Literaturtyp löste sich an Stellen vom Text der Quelle, dem Corpus iuris. Eine weitere Gattung waren zusammenfassende und systematisch-enzyklopädische Darstellungen. Hier wurden auch die Ordnungsschemata umorganisiert. Für anspruchsvolle und komplizierte Fälle wurden zudem Einzeldarstellungen mit monographischem Charakter gewählt. Die von den Kommentatoren bekannte Konsilienliteratur des Mittelalters wurde nicht aufgegeben, sie setzte sich vielmehr fort. Zu besonders wichtigen Werken – etwa Heinrich Hahns „Observata“ zu Wesenbeck, Treulers „disputationes selectae“ oder Lauterbachs „Compendium iuris“ – wurden ganze Werke von Anmerkungen geschaffen (Additionen und Sammlungen). Literarische Hilfestellungen und Einführungen gab es als Literaturtyp auch für die Rechtspraxis und ebenso für die Partikularrechte.

Hermann Conring und weitere Vertreter

Am engsten verbunden ist die vollständige Überwindung der „theoretischen“ Rezeption mit dem Namen des Politikers, Polyhistors, Diplomaten und Juristen Hermann Conring (1606–1681).[8] Als Fachmann für politische und juristische Begründungslehren und Widerlegungstheorien, entkräftete er zum Zwecke der freien Arbeit mit den Quellstoffen die Lotharische Legende und entwarf 1643 mit seiner berühmten Schrift De origine iuris Germanici die erste pragmatische Geschichte der Rezeption.[9] Die Schrift erschien wenige Jahre vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und damit dem endgültigen Zusammenbruch des Reichs, dessen vorherrschendes Rechtsbewusstsein dem römischen Recht die metaphysische Legitimation verliehen hatte.[10] Bei der Auseinandersetzung stieß Conring (nach Auffassung von Luig und Haferkamp) auf die „interessante Berührung zwischen Rechtsgeschichte und Rechtspolitik“. Geschichte nämlich lässt sich als historischer Befund heranziehen, um nicht politisch argumentieren zu müssen. Die heutige Rechtsgeschichte sieht in Conrings Rezeptionsdeutung den „Begründer der Deutschen Rechtsgeschichte“ und zugleich den „Vorkämpfer des Deutschen Rechts“.[11]

Conring kritisierte vornehmlich, dass das geltende Recht vor Gericht nur mühsam festzustellen war. Es existierten verschiedene, aufeinander nicht abgestimmte Rechtsquellen, sehr erschwerend für die konkrete Rechtsanwendung. Das großvolumige römische Recht sei zudem fremdsprachig und nicht durch Normen, sondern durch Lehrmeinungen des klassischen Rechts geprägt, welches aber kaum adaptibel mit den deutschen Sitten (ius patrium) sei. Daraus resultierten Kontroversen, die aufzulösen seien, weshalb erst einmal Rechtssatz für Rechtssatz bewiesen werden müsse, dass eine konkrete römische Rechtsgestaltung überhaupt gelte.

Bedeutende Vertreter des usus modernus sind weiterhin: Ulrich Zasius (1461–1535), Benedikt Carpzov (1595–1666), David Mevius (1609–1670), Georg Adam Struve (1619–1692) und Justus Henning Böhmer (1674–1749).

Inhalt der Lehre und Praxis

Der usus modernus beruht in seinen Ursprüngen auf der Arbeitsweise und Methodenlehre des Konsiliators der Bartolus de Saxoferrato. Bartolus hatte hergebrachtes und einheimisches Recht zu „zeitgenössisch modernem Recht“ verschmolzen.[6] Im Kern interessierte die deutschen Assimilatoren, ob die im Corpus iuris civilis enthaltenen Regelungen für die deutsche Rechtspraxis überhaupt Geltung beanspruchen durften. Insoweit wurde nach dem Geltungsrang des Corpus iuris civilis im Kanon der Rechtsquellen des Gemeinen Rechts gefragt. Der gemeinrechtliche Wissenschaftsbetrieb sollte vorangebracht werden. Man kam überein, dass römisches Recht als subsidiär wirkendes Gewohnheitsrecht im Gemeinen Recht Platz finden würde. Dafür sollte ausschließlich überliefertes Recht herangezogen werden. Dieses sollte in geschriebenes Recht transformiert werden, anschaulich und begriffslogisch gefasst. Nach Franz Wieacker verhalf dieser Modernisierungsprozess des Rechts auch der Gesellschaft zu ihrer Modernisierung.[12]

Rezeptionskontroverse zwischen Romanisten und Germanisten

Zu Beginn der Epoche in Deutschland war die Rezeption des römischen Rechts durch das Wirken der italienischen Glossatoren, insbesondere der Kommentatoren und der französischen Legisten in Süd- und Westeuropa weit fortgeschritten. Die Aneignung des Rechts hatte in diesem Raum in der Zeit des 12./13./14. Jahrhunderts unmittelbar eingesetzt und die „Statutentheorie“ hervorgebracht. Statuarrecht sollte danach zwar Vorrang genießen aber im Lichte des römischen Rechts ausgelegt werden. Als Auslegungsmaßstab wog das römische Recht somit schwerer.[13]

Anders Deutschland, das in beträchtlichem zeitlichen Abstand den Süd- und Westeuropäern folgte, respektive im 16. Jahrhundert erst begann, römisches Recht überhaupt aufzunehmen.[14] Dabei wurde der Stryks’sche Grundgedanke aufgegriffen, römisches Recht nur Schritt für Schritt zu rezipieren, gleichsam um eigenes Recht in Abwehrstellung dazu bringen zu können. Daraus wird deutlich, dass Deutschland in keinem rechtsfreien Raum lebte und sich jahrhundertelang auch ohne römische Rezeptionsgeschichte mit heimischem Recht, dem germanischen Recht, auseinanderzusetzen verstand. Und genau dieses germanische Recht verbreitete sich mit hohem Durchdringungsgrad in einer Zeit in der germanische Stämme und die Völkerwanderung die Besiedlung Mitteleuropas bewerkstelligten. Die Rezeption in Deutschland kann als Auseinandersetzung zwischen Germanismus und Romanismus im Recht beurteilt werden.[14]

Rezeption des Corpus iuris in der Fassung der Kommentatoren

In Deutschland konnten die Juristen letztlich auf der Arbeit der Protagonisten aufbauen, insbesondere ist die dabei Literatur der Kommentatoren zu nennen. Kommentatorenliteratur war Juristenrecht, Recht ausgebildeter Juristen. Da die Kommentatoren selbst bereits einen wissenschaftlichen Anspruch verfolgten, entwickelte sich Nährboden für Weiterentwicklungen. Die Vorarbeit bestand darin, dass viele Rechtsbegriffe bereits soviel Konturenschärfe aufwiesen, dass von Definitionen und systematischen Zusammenhängen gesprochen werden konnte. Eine Einteilungslogik gliederte die Sachzusammenhänge in grundbegrifflicher Hinsicht. Mit einem solchen theoretischen Handwerkszeug konnte man den Praxisfällen des Alltags begegnen.

Die Kluft zwischen römischer Überlieferung und heimischem Recht erschien überwindbar. Römisches Recht war nicht mehr allein kraft translatio imperii legitimiert, theoretisch zwar bewundernswert, praktisch aber kaum handhabbar. Dass sich die Überzeugung, dass römisches Recht Naturrecht von spiritueller Autorität sei, abgestumpft hatte, zeigte die Ausbildung der Lotharischen Legende, die sich über drei Jahrhunderte wirkungslos zeigen konnte und nunmehr bedeutungsvoll wurde, weil ein Bedürfnis entstanden war, dass sich römisches Recht „neu“ zu legitimieren habe.[15]

Der usus modernus knüpfte in Deutschland an diese Phase an. Kennzeichnend war ein freierer, pragmatischerer Umgang mit den grundsätzlich kasuistisch geprägten Quellenvorbildern Roms. Im Unterschied zu früheren Epochen wurden nicht nur die römischen Quelltexte herangezogen, sondern auch das Corpus Iuris Canonici und insbesondere erfolgte ein Abgleich mit den heimischen Partikularrechten, die als Rechtsquellen in die rechtliche Gesamtschau einbezogen waren (bei Samuel Stryk, namentlich der Sachsenspiegel). Je nachdem wo die Juristen tätig waren, bildete für sie das örtliche Recht den Hintergrund für die Anwendung des Corpus iuris civilis, vornehmlich der Pandekten. Christoph Besold und Wolfgang Adam Lauterbach behandelten in Tübingen dabei das württembergische Recht und David Mevius zog beispielsweise in Greifswald das lübische Recht heran, um die justinianische Gesetzgebung praxistauglich zu machen.

Bei dem Adaptierungsprozess waren die wesentlichen Kenngrößen aus der gesamteuropäischen Romanistik entlehnt worden, was von der Rechtsliteratur über die Rechtsprechung hin zu den Rechtsunterrichtsformen und den Vorlesungsstoffen reichte. Als noch sehr eigenständige deutsche Gesetzeswerke begegnen uns zum Zeitpunkt des Beginns der Rezeption etwa das Freiburger Stadtrecht oder auch die erste deutsche Strafgesetzgebung, die Carolina, ebenso die kursächsischen Konstitutionen. Allen gemein war, dass sie lediglich Landes- und Polizeiverordnungen regelten. Das änderte sich in der Folgezeit. Als bedeutendes Ergebnis einer erfolgreichen Transliteration des römischen in das deutsche Recht, kann die Kodifikation des Codex Maximilianeus bavaricus civilis betrachtet werden.

Anders als zuvor wurde das römische Recht dabei einer kritischen Betrachtung unterzogen. In Einzelfällen kamen die Vertreter des usus modernus zum Schluss, dass Regelungen des römischen Rechts nicht auf die aktuellen Verhältnisse anwendbar waren und den Regelungen des kanonischen oder einheimischen Rechts der Vorrang einzuräumen war. Die Periode dieser Auseinandersetzungen ist die längste und mutmaßlich die bedeutungsvollste für Deutschlands Einlassung auf das römische Recht. Aus ihr erwuchs die gemeinrechtliche Dogmatik, von der noch die heutige deutsche Rechtswissenschaft profitiert.

Rechtsmaterien

Viele Theorien, wie die zu den Konsensualkontrakten, zur Gesamthand, zum Abtretungsrecht, zum Besitzrecht oder auch zum Bereicherungsrecht, übernommen wurden sie vom Bürgerlichen Gesetzbuch unmittelbar aus der Pandektenwissenschaft, wurden hinsichtlich Quellenauswahl und grundsätzlicher Diskussion bei den Praktikern des usus modernus bereits behandelt und vorwegbestimmt. Bedeutsam wurde der usus modernus auch bei der Formulierungshilfe für strafrechtliche Theorien. Der allgemeine Teil des heutigen deutschen Strafrechts wurzelt dogmatisch in dieser Zeit. Da seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das neu verstandene Naturrecht Berücksichtigung bei der Anwendung der Pandekten fand, so bei Johann Gottlieb Heineccius und Augustin Leyser, welcher im Rahmen seiner elfbändigen Sammlung Meditationes ad Pandectas eine Vielzahl von Rechtsfragen abhandelte, floss die gemeinrechtliche Dogmatik bereits in die deutschen Naturrechtskodifikationen ein.

Während der Zeit des usus modernus wurde aber auch bestimmt, welche Rechtsfiguren des römischen Rechts nicht rezipiert werden sollten, weil sie in keinen Einklang zu den gesellschaftlichen Gebräuchen und Rechtsauffassungen zu bringen waren. So pflegen das Personen- und Familienrecht verhältnismäßig generell wenig berührt zu werden, schon weil sich unmittelbare Lebensbezüge in eigener Traditionslinie fortsetzen oder auch erneuern. So wurde das römische Statusrecht, insbesondere die Unterscheidung nach Bürger- und Fremdenrecht nicht übernommen, ebenso wenig das Sklavenrecht. Auch nicht rezipiert wurde die römische Patria Potestas, soweit davon erwachsene Hauskinder betroffen waren, denn es hatten sich längst deutschrechtliche Vorstufen zur elterlichen Gewalt etabliert. Andererseits gab es mit dem persönlichen Eherecht, die bereits zum Zeitpunkt des usus modernus, weder vom römischen Eherecht noch vom profanen deutschen Recht der Muntehe geprägt waren, da sich dazu bereits im Hochmittelalter mit dem Zweiten Laterankonzil kanonisches Eherecht durchgesetzt hatte.

Würdigung und Nachwirkung

In der Forschung wird davon ausgegangen, dass Deutschland auch ohne die Rezeption des Corpus iuris civilis, so wurde das Corpus iuris seit der Zeit des Humanismus genannt, zu einem fachlich spezialisierten Recht vorgedrungen wäre; es wäre dann wohl eher von statuar- oder fallrechtlichen Zügen geprägt gewesen.[16] Da die Rezeption in Deutschland später als in den Staaten Süd- und Westeuropas einsetzte, konnte mit ihr gleichzeitig ein geistiger und technischer Erneuerungsprozess in Gang gesetzt werden; zudem fand die Rezeption einen neuen Apparat für die Rechtspflege vor, ein gut ausgebildetes Beamtentum. Die altständischen Rechtskörper, denen Fachausbildungen regelmäßig fehlten, hatten sich zuvor noch aus den Reihen der Patrizier, Ritter und kirchlichen Würdenträger rekrutiert. Sie wurden nun aus ihrer Funktion gedrängt. Mit der Aufgabenwahrnehmung durch die Beamten, bei denen es karrieristische Aufstiegschancen gab, rückten zunehmend Staatszielbestimmungen in den Vordergrund, so dass gesagt werden kann, dass aus ehemaligen „Rechtshonoratioren“ (Max Weber) Staatsdiener geworden waren. Sie pflegten einen verantwortungsvolleren Umgang mit sozialen Interessenslagen, als ihre Vorgänger, die partikulare Interessen verfolgten.

Im deutschen Territorialstaat der vorrevolutionären Zeit schlossen die Obrigkeiten, die fürstlichen Autoritäten, vielerorts Bündnisse mit dem römischen Recht. Ins Rechtsbewusstsein des Volkes rückte autoritätsbezogenes Recht. Geschriebenes wie gesprochenes Recht beruhte auf der Autorität der Landesherrn und damit auf deren öffentlicher Verantwortung. Und diese öffentliche Verantwortung trat den wirtschaftlichen und politischen Interessen der ständischen Gewalten entgegen. Die Oberhand der gelehrten Rechtspflege verknüpft sich insoweit mit dem Fürstenstaat selbst.[16]

Kritisch wurde immer wieder angemerkt, dass mit der Abstraktion des Wissenschaftsbetriebs und der Herausbildung eines rationalistischen Anspruchs an das Rechtsmonopol, eine Abflachung der Vitalität der Volkskräfte eingetreten sei. Vorgeworfen wird dem gelehrten Recht, dass der Reichtum persönlicher, organischer und geschichtlicher Kräfte keinen Niederschlag im Recht mehr fand, sodass – im Gegensatz zu den Entwicklungen im englischen Recht – attestiert werden müsse, dass parallel zu seiner Entwicklung eine „rationale Erstarrung“ auf dem Kontinent Einzug gehalten habe. Der kontinentale Staatsbürger stünde seinem Recht bis heute wie etwas „Fremdem“ gegenüber, der englische Bürger hingegen erlebe das Recht und die Rechtspflege seines Landes als Gemeinbesitz.[16]

Da Kodifikationen des Rechts den Grundideen der Aufklärung und dem Nationalbewusstsein verschiedener europäischer Nationen entsprachen, wurde Jahre nach Abfassung der partikular wirkenden und überstaatlich wirksamen Naturrechts-Codizes der Wunsch nach einheitlichen Nationalkodifikationen laut. Vor dem Hintergrund des Kodifikationsstreits seiner Protagonisten Anton Friedrich Justus Thibaut und Friedrich Carl von Savigny, wurde die eingangs bereits gestellte Frage ins nunmehr geschichtliche Bewusstsein gerufenen. Die Historische Rechtsschule Savignys versuchte Antworten zur rechtlichen Ausgestaltung der vitalen Vielfältigkeit der Lebenswirklichkeit zu geben.[17]

Soweit römisches Recht heute noch angewendet wird, so in Südafrika und Botswana, spricht man im Gegensatz zu „usus modernus pandectarum“ vom „usus hodiernus pandectarum“.

Quellen

  • Hugo Grotius: Inleiding tot de hollandsche rechts-geleerdheid. Den Haag 1631.
  • Hermann Conring: De origine iuris Germanici. Helmstedt 1643.
  • Antoine Loisel: Institutes coutumières. Paris 1646.
  • Samuel Stryk: Usus modernus Pandectarum, I-III. Frankfurt am Main 1690–1712.

Literatur

  • A. Ahsmann: Arnold Vinnius. In: Gerd Kleinheyer; Jan Schröder (Hrsg.): Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. 4. Auflage. Heidelberg 1996, ISBN 3-8252-0578-9.
  • Helmut Coing: Europäisches Privatrecht, Bd. I: Älteres Gemeines Recht. München 1985, Vorbemerkung S. 4.
  • Hans-Peter Haferkamp, Tilman Repgen (Hrsg.): Usus modernus Pandectarum: Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der frühen Neuzeit. Klaus Luig zum 70. Geburtstag. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2007. ISBN 978-3-412-23606-9.
  • Gabor Hamza: Entstehung und Entwicklung der modernen Privatrechtsordnungen und die römischrechtliche Tradition. Budapest 2009, ISBN 978-963-284-095-6, S. 186–189.
  • Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht. (= Böhlau-Studien-Bücher). Böhlau, Wien 1981, ISBN 3-205-07171-9, S. 63–70. (9. Aufl. 2001, ISBN 3-205-99372-1)
  • Martin Heger: Recht im „Alten Reich“ – Der Usus modernus. In: ZJS. 2010, 274 (PDF)
  • Alessandro Hirata: Die Vollendung des usus modernus pandectarum: Christian Friedrich von Glück (1755–1831). In: Savigny. Band 123, 2006, S. 330–342.
  • Paul Koschaker: Europa und das Römische Recht. 4. Auflage. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München/ Berlin 1966, S. 141 ff.
  • Klaus Luig: Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte. In: Michael Stolleis (Hrsg.): Hermann Conring (1606–1681). 1983, 355 ff.
  • Klaus-Peter Nanz: Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert. München 1985, ISBN 3-88709-082-9, insbesondere Kapitel 8 und 9, S. 85 ff.
  • Alfred Söllner: Zu den Literaturtypen des deutschen „Usus modernus“. In: Ius Commune, Band 2, 1969. S. 167–186.
  • Gunter Wesener: Die Rolle des Usus modernus pandectarum im Entwurf des Codex Theresianus. Zur Wirkungsgeschichte des älteren gemeinen Rechts. In: Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag. München 1997, S. 1363–1388.
  • Gunter Wesener: Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre. In: Im Dienste der Gerechtigkeit. Festschrift für Franz Bydlinski. Wien/ New York 2002, S. 473–494.
  • Gunter Wesener: Zur Bedeutung des Usus modernus pandectarum für das österreichische ABGB. Gedächtnisschrift für Theo Mayer-Maly zum 80. Geburtstag, Wien-New York 2011, S. 571–592.
  • Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. Kapitel: Der Usus modernus S. 204 ff, 225 ff.
  • Wolfgang Wiegand: Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit. (zugleich Universität München, Habilitationsschrift 1975/76.). Ebelsbach: Gremer, 1977. ISBN 978-3-88212-000-4.
  • Reinhard Zimmermann: The law of obligations. Oxford Univ. Press, 1996, ISBN 0-19-876426-X. (der bei Besprechung einzelner Schuldrechtinstitute jeweils auch auf die Lehre im usus modernus bzw. ius commune eingeht)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zeitgenössische Bezeichnung auch: mores hoderniae (= heutiger Gerichtsgebrauch) und nova practica (= moderne Praxis)
  2. Christoph A. Kern: Typizität als Strukturprinzip des Privatrechts. Ein Beitrag zur Standardisierung übertragbarer Güter. Habilitationsschrift. Mohr Siebeck, Tübingen 2013, ISBN 978-3-16-151724-2, S. 89 ff. (89).
  3. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 2 Rnr. 11–13 (S. 25–27).
  4. a b Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. Kapitel: Der Usus modernus S. 204–224.
  5. Klaus Luig: Usus modernus. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte V, Sp. 628–636 (629).
  6. a b Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht. (= Böhlau-Studien-Bücher). Böhlau, Wien 1981, ISBN 3-205-07171-9, S. 63–70.
  7. Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. Kapitel: Der Usus modernus S. 225.
  8. Otto Stobbe: Hermann Conring, der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte. Rede beim Antritt des Rectorats der Universität Breslau am 15. Oktober 1869 gehalten. Verlag von Wilhelm Hertz, Berlin 1870.
  9. Erik Wolf: Griechisches Rechtsdenken. 4 Bände. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1950–1970, S. 252 ff.
  10. Erik Wolf: Die deutsche Reichstheorie in der Reformationszeit. In: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie. Band 10, 1943, S. 115 ff.
  11. Hans-Peter Haferkampf: Die Bedeutung von Rezeptionsdeutungen für die Rechtsquellenlehre zwischen 1800 und 1850. In: Hans-Peter Haferkamp, Tilman Repgen (Hrsg.): Usus modernus pandectarum. Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der Frühen Neuzeit – Klaus Luig zum 70. Geburtstag. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2007. ISBN 978-3-412-23606-9. S. 25 ff.
  12. Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. Kapitel: Der Usus modernus S. 225.
  13. Uwe Wesel: Geschichte des Rechts: Von den Frühformen bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-54716-8, S. 371 f.
  14. a b Paul Koschaker: Europa und das Römische Recht. 4. Auflage. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung. München/ Berlin 1966, S. 141 ff. (146).
  15. Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. Kapitel: Der Usus modernus S. 124 ff (145).
  16. a b c Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. Kapitel: Der Usus modernus S. 225 ff. (243–248).
  17. Vergleiche insoweit, Helmut Coing: Europäisches Privatrecht 1800–1914. München 1989. § 4, S. 16–23.