Benutzer:Alva2004/Elastizitätstheorie
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Elastizität (von griechisch ελαστικός „anpassungsfähig“) ist die Eigenschaft eines Körpers, unter Krafteinwirkung seine Form zu verändern und bei Wegfall der einwirkenden Kraft in die Ursprungsform zurückzukehren (Beispiel: Sprungfeder). Als Ursache der Elastizität kommen Verzerrungen des Atomgitters (bei Metallen), das Dehnen von Molekülketten (Gummi und Kunststoffe) oder die Änderung des mittleren Atomabstandes (Flüssigkeiten und Gase) in Frage. Reale Materialien besitzen eine Elastizitätsgrenze, innerhalb derer sie sich elastisch verformen und jenseits derer dissipative Vorgänge wie viskoses oder plastisches Fließen, Kriechen oder Brüche auftreten. Reale Flüssigkeiten und Gase sind bei schnellen, geringfügigen Volumenänderungen (z. B. bei Schallwellen) in guter Näherung elastisch. Bei Feststoffen wird die Elastizitätsgrenze bei hinreichend kleinen und langsam vonstattengehenden Verformungen eingehalten, die in vielen Anwendungen, insbesondere im technischen Bereich, vorliegen.
Das Teilgebiet der Physik und Mathematik, das sich mit elastischen Verformungen und ihrer Beschreibung befassen, wird Elastizitätstheorie genannt. Sie bildet neben der Theorie des linear-viskosen Fluids die Basis der klassischen Materialtheorie in der Kontinuumsmechanik, auf der andere Theorien für Plastizität und Viskoplastizität aufbauen. Die Elastizitätstheorie befasst sich mit zwei Klassen von Stoffen: dem elastischen Fluid und dem elastischen Festkörper. Während erstere auf hydrostatischen Druck elastisch reagieren, vermögen Festkörper auch auf einachsigen Zug/Druck und Scherung elastisch zu antworten.
Die Gesetze der Mechanik und Thermodynamik geben einen Rahmen vor, in dem sich reale Körper bewegen. Die mathematischen Gleichungen dieser Gesetze treffen keine Aussagen über die individuellen Eigenschaften der Körper und reichen daher nicht aus, die Bewegungen der Körper eindeutig zu bestimmen. Dazu bedarf es noch konstitutiver Gleichungen, die die materialspezifische Antwort des Körpers, z. B. auf eine äußere Kraft, beschreiben. In diesem Fall ist eine Beziehung zwischen den Verformungen des Körpers und den Reaktionskräften anzugeben. Beim elastischen Körper ist diese Beziehung ausschließlich von den gegenwärtigen Verformungen, nicht aber von der Vorgeschichte oder dem zeitlichen Ablauf (Geschwindigkeiten) abhängig. Elastizität ist eine zeitunabhängige Materialeigenschaft.
Richtungsabhängigkeiten des Materials wie die Orthotropie von Holz oder materielle Zwangsbedingungen wie Inkompressibilität kommen in der Elastizität, aber auch bei anderem Materialverhalten vor.
Makroskopisches Verhalten
Makroskopisch lassen sich folgende Eigenschaften an einem elastischen Körper beobachten:
- Bei gegebener Verformung (Fluide: Volumenänderung) haben die Reaktionskräfte (der Druck) unabhängig von der Vorgeschichte immer denselben Wert.
- Ist der Ausgangszustand unbelastet, so wird dieser nach jedweder Verformung wieder eingenommen, wenn die Belastungen entfernt werden. Bei elastischen Flüssigkeiten und Gasen ist der Zustand durch das eingenommene Volumen bestimmt, das unter gleichen Bedingungen immer gleich ist.
- Das Materialverhalten ist geschwindigkeitsunabhängig. Die Geschwindigkeit, mit der eine Verformung (Fluide: Volumenänderung) stattfindet, hat keinen Einfluss auf den Widerstand (Druck), den der Körper der Verformung entgegensetzt.
- Im einachsigen Zugversuch erfolgen Be- und Entlastung stets entlang des gleichen Weges so wie im nebenstehenden Bild. Bei Flüssigkeiten und Gasen entspricht das einem Kompressions- und Expansionsversuch.
- Die aufgewendete Verformungsarbeit (Fluide: Kompressionsarbeit) wird vollständig als Verzerrungsenergie im Körper gespeichert. Die Arbeit ist somit reversibel.
Die ersten vier Eigenschaften charakterisieren die Cauchy-Elastizität. Wenn zusätzlich noch die letzte Eigenschaft vorliegt, dann ist das Material hyperelastisch.
Bei hinreichend kleinen Verformungen ist die Kraft-Weg-Beziehung bei Feststoffen linear und kann die Elastizität mit Moduln beschrieben werden, die den Zusammenhang zwischen der, auf ihre Wirkfläche bezogenen Kraft (Spannung mit der Dimension Kraft pro Fläche) und dem, auf eine Abmessung des Körpers bezogenen Weg (dimensionslose Dehnung), herstellen. Der Elastizitätsmodul gilt bei einachsigem Zug, der Schubmodul bei Scherung und der Kompressionsmodul bei allseitigem Druck. Bei einachsigem Zug tritt nicht nur in Zugrichtung eine Verformung auf sondern auch quer dazu, was die dimensionslose Querkontraktionszahl quantifiziert. Die vollständige Beschreibung der isotropen linearen Elastizität benötigt nur zwei dieser Größen, transversale Isotropie bereits fünf (zwei Elastizitätsmoduln, zwei Querkontraktionszahlen und einen Schubmodul) und die Orthotropie neun (drei Elastizitätsmoduln, drei Querkontraktionszahlen und drei Schubmoduln). Maximal werden jedoch 21 Parameter benötigt, um einen linear hyperelastischen Stoff zu beschreiben.
Kontinuumsmechanische Theorie
Cauchy-Elastizität
Die wesentliche Eigenschaft der Elastizität wurde bereits genannt: Ist der Widerstand gegen Verformung ausschließlich von der gegenwärtigen Verformung, nicht aber von deren Vorgeschichte oder der Verformungsgeschwindigkeit abhängig, liegt Elastizität, genauer sogenannte Cauchy-Elastizität, vor.
Bezugssysteminvarianz
An der Cauchy-Elastizität können bereits die Kriterien für die Invarianz der Materialgleichungen gegenüber einer euklidischen Transformation aufgestellt werden. Hier schlägt sich die Erfahrung nieder, dass ein bewegter Beobachter immer dasselbe Materialverhalten misst wie ein ruhender. Diese Bezugssysteminvarianz ist bei großen Verformungen zwingend. Elastische Fluide sind automatisch bezugssysteminvariant. Bei Feststoffen wird diese Forderung dadurch genüge getan, dass die Materialgleichungen zwischen Spannungen und Dehnungen in der lagrangeschen Fassung aufgestellt werden.
Elastische Fluide
Zu den elastischen Fluiden gehören die reibungsfreien realen Gase, das ideale Gas und die ideale- oder Euler-Flüssigkeit. Bei ihnen hängen die Spannungen kinematisch nur von der Volumendehnung oder der Dichte ab. Elastische Fluide (Flüssigkeiten und Gase) sind immer isotrop, hyperelastisch und erfüllen die Forderung nach Bezugssysteminvarianz. Viele Materialgleichungen der elastischen Gase nennen sich Zustandsgleichung, was unterstreicht, dass der Druck in ihnen unter gleichen Bedingungen immer gleich ist.
Die Bewegungsgleichung der elastischen Fluide sind die Euler’schen Gleichungen der Strömungsmechanik. Ein wichtiger Spezialfall liegt vor, wenn die Volumenkraft (u. a. die Schwerkraft) konservativ und das Geschwindigkeitsfeld stationär ist. Dann führt die Integration der Euler-Gleichungen entlang einer Stromlinie auf die Bernoulli’sche Energiegleichung, die technische Rohrströmungen gut beschreibt. Wenn das Geschwindigkeitsfeld zusätzlich rotationsfrei ist, dann liegt eine Potentialströmung vor, in der die Bernoulli’sche Energiegleichung sogar global gilt. Potentialströmungen können mit analytischen Mitteln mathematisch exakt berechnet werden.
Thermodynamische Konsistenz
Trotzdem die Reaktionskräfte in einem Cauchy-elastischen Material vom zurückgelegten Verformungsweg unbeeinflusst sind, kann bei Feststoffen die auf verschiedenen Verformungswegen (mit gleichem Start- und Endpunkt) geleistete Formänderungsarbeit unterschiedlich groß ausfallen, was in Abwesenheit eines Dissipationsmechanismus im Widerspruch zu thermodynamischen Prinzipien ist. Wegunabhängigkeit der Formänderungsarbeit führt zur thermodynamisch konsistenten Hyperelastizität, die ein Spezialfall der Cauchy-Elastizität ist.
Hyperelastizität
Die Formänderungsarbeit ist bei Hyperelastizität wegunabhängig und die Spannungen stehen in einer Potenzialbeziehung zu den Dehnungen. Das Potenzial ist die Helmholtz’sche freie Energie, aus der sich gemäß der Clausius-Duhem-Ungleichung in isothermen Prozessen die Spannungen durch Ableitung nach den Dehnungen berechnen. Während alle elastischen Fluide automatisch auch hyperelastisch sind, was sich bereits in ihrer Cauchy-Elastizität zeigt, ist bei den Feststoffen die Hyperelastizität ein echter Spezialfall der Cauchy-Elastizität.
Bezugssysteminvarianz in der Hyperelastizität
In der Cauchy-Elastizität konnte bereits festgestellt werden, dass die Beziehung zwischen den Spannungen und den Dehnungen in der lagrangeschen Betrachtungsweise aufzustellen sind. Zusätzlich kann hier gezeigt werden, dass hyperelastische Materialien genau dann isotrop und bezugssysteminvariant sind, wenn das Potenzial eine Funktion der Änderung von materiellen Volumen-, Flächen- und Linienelementen bei einer Deformation ist[1].
Konservativität
Die Wegunabhängigkeit der Formänderungsarbeit drückt sich dadurch aus, dass die Formänderungsarbeit nur vom Start- und Endpunkt des Verformungsweges, nicht aber von dessen Verlauf abhängt. Im Spezialfall der Übereinstimmung von Start- und Endpunkt ergibt sich: Entlang eines geschlossenen Verformungsweges wird keine Arbeit verrichtet oder Energie verbraucht. Aufgewandte Arbeiten werden vom Körper bis zur Rückkehr zum Ausgangspunkt vollständig zurückgegeben. Die Konservativität folgt hier auch daraus, dass die Verformungsleistung exakt die Rate der Formänderungsenergie ist, aufgewandte Arbeiten also vollständig (dissipationslos) als Formänderungsenergie gespeichert werden. Verformungen sind hier also reversibel.
Materialmodelle der Hyperelastizität
Für isotrope Feststoffe liegen eine Reihe von Materialmodellen vor, mit denen sich reale, reversible und große Verformungen in guter Näherung nachbilden lassen. Das einfachste dieser Modelle ist das Hooke’sche Gesetz für lineare Elastizität, dass jedwedes Materialmodell der Hyperelastizität bei kleinen Deformationen in erster Ordnung approximiert. Eine Approximation zweiter Ordnung bei inkompressiblem Material stellt das Mooney-Rivlin-Modell dar. Das Hooke’sche Gesetz ist ungeeignet große Verformungen nachzubilden. Das Neo-Hooke-Modell, das ein Spezialfall des Mooney-Rivlin-Modells ist, verallgemeinert das Hooke’sche Gesetz in geeigneter Weise auf große Deformationen.
Ein linear-hyperelastisches Material kann mit maximal 21 Parametern beschrieben werden.
Lineare isotrope Hooke’sche Elastizität von Feststoffen
In diesem Abschnitt wird neben der linearen Elastizität auch kinematische Linearität vorausgesetzt, was bei kleinen Verformungen von Festkörpern vorliegt.
Satz von Betti
Wird ein linear hyperelastischer Körper äußeren Kräften ausgesetzt, ergibt sich daraus eine die Formänderungsenergie minimierende Deformation. Das System aus Spannungen, Dehnungen und Verschiebungen ist ein elastischer Zustand (EZ) des Körpers, der zum angreifenden Kraftsystem gehört. Liegt ein zweites Kraftsystem vor, das einen zweiten EZ hervorruft, dann gilt der Satz von Betti: Die Arbeit des ersten Kraftsystems an den Verschiebungen des zweiten EZ ist gleich der Arbeit des zweiten Kraftsystems an den Verschiebungen des ersten EZ. Diese reziproken Arbeiten der äußeren Kräfte entsprechen reziproken Formänderungsarbeiten: Die Arbeit der Spannungen des ersten EZ an den Dehnungen des zweiten EZ ist gleich der Arbeit der Spannungen des zweiten EZ an den Dehnungen des ersten EZ. Der Satz von Betti ist eine Grundlage der Randelementmethode.
Die lokale Impulsbilanz ist eine Gleichung in der nur die Spannungen, die Beschleunigung und die Schwerkraft vorkommen. Nun können die Spannungen über das Hooke’sche Gesetz mit den Dehnungen und diese wiederum mit den Verschiebungen ausgedrückt werden, was auf die Navier-Cauchy-Gleichungen führt. Diese enthalten Wellengleichungen als Lösung für longitudinale, primäre weil schneller laufende P-Wellen und transversale, sekundäre weil langsamer laufende S-Wellen. Im Fall einer harmonischen Schwerkraft ist das Verschiebungsfeld eine Biharmonische Funktion.
Stab, Balken, Scheibe, Platte und Schale
Die besonderen kinematischen Bedingungen, die in den Konstruktionselementen Stab, Balken, Scheibe, Platte und rotationssymmetrische Schale vorliegen, erlauben aus den Navier-Cauchy-Gleichungen Differentialgleichungen für über den Querschnitt der Strukturen integrierte Spannungsresultierende aufzustellen. Diese Differentialgleichungen sind in der Festigkeitslehre von Bedeutung.
Spannungsfunktionen
Die Spannungen können mit Spannungsfunktionen ausgedrückt werden, die die Gleichgewichtsbedingungen automatisch einhalten. So reduziert sich die Lösung eines Randwertproblems auf das Auffinden von Spannungsfunktionen, die die vorliegenden Randbedingungen und die Kompatibilitätsbedingungen erfüllen. Letztere Bedingungen stellen sicher, dass sich aus den Spannungen die Verschiebungen ableiten lassen. Besonders gut untersucht ist der ebene Fall mit der Airy’schen Spannungsfunktion, mit deren Hilfe heute analytische Lösungen vieler Randwertaufgaben in der Ebene vorliegen.
Mathematische Theorie
Ein reales Material deformiert sich unter Krafteinwirkung so, dass die Formänderungsenergie minimiert wird. Die mathematische Elastizitätstheorie untersucht unter anderem die Frage, unter welchen Bedingungen im mathematischen Modell eine die Formänderungsenergie minimierende Deformation existiert. Eine in diesem Zusammenhang wichtige und plausible Forderung an die Formänderungsenergie ist, dass sie bei unendlich großer Deformation gegen unendlich strebt, die Formänderungsenergie also eine koerzitive Funktion der Deformation ist.
Eine die Formänderungsenergie minimierende Deformation existiert gewiss, wenn die Formänderungsenergie eine koerzitive und konvexe Funktion der Deformation ist. Wenn die Formänderungsenergie auch über alle Grenzen wächst, wenn der Körper auf null Volumen zusammengedrückt wird, was plausibel ist, dann kann sie nicht konvex sein. Daher ist Konvexität eine unhaltbare Forderung an die Formänderungsenergie.
Die Polykonvexität (in engl. Wikipedia) nach John M. Ball[2] und Koerzitivität der Formänderungsenergie garantieren die Existenz einer die Formänderungsenergie minimierenden Deformation. Für isotrope Hyperelastizität liegen eine Reihe von Formänderungsenergiefunktionen vor, die polykonvex und koerzitiv sind[3]. Für den Fall anisotroper Hyperelastizität stellte J. M. Ball die Frage[4]: „Are there ways of verifying polyconvexity [. . .] for a useful class of anisotropic stored-energy functions?“ (zu Deutsch: „Gibt es Wege die Polykonvexität [. . .] für eine nützliche Klasse von anisotropen Formänderungsenergiefunktionen nachzuweisen?“) Die Suche nach der Antwort auf diese Frage ist noch im einundzwanzigsten Jahrhundert Gegenstand reger Forschungsaktiviät.
Siehe auch
Fußnoten
- ↑ P. G. Ciarlet (1988), Theorem 4.4-1
- ↑ J. M. Ball: Convexity conditions and existence theorems in non-linear elasticity, Archive for Rational Mechanics and Analysis 63 (1977), S. 337–403 und
J. M. Ball: Constitutive inequalities and existence theorems in nonlinear elasto-statics. In
R. J. Knops (Hrsg.): Herriot Watt Symposion: Nonlinear Analysis and Mechanics, Band 1. London : Pitman, 1977, S. 187-238, ISBN 0-273-01128-6; ISBN 0-273-08461-5 - ↑ S. Hartmann und P. Neff: Polyconvexity of generalized polynomial type hyperelastic strain energy functions for near incompressibility. In: International Journal of Solids and Structures 40 (2003), S. 2767–2791
- ↑ J. M. Ball: Some open problems in elasticity. In P. Newton, P. Holmes (2002), S. 3–59
Literatur
- H. Altenbach: Kontinuumsmechanik. Springer, 2012, ISBN 978-3-642-24118-5.
- M. Bestehorn: Hydrodynamik und Strukturbildung. Springer, 2006, ISBN 978-3-540-33796-6.
- P. G. Ciarlet: Mathematical Elasticity - Volume I: Three-Dimensional Elasticity. North-Holland, 1988, ISBN 0-444-70259-8.
- P. Haupt: Continuum Mechanics and Theory of Materials. Springer, 2000, ISBN 3-540-66114-X.
- G. A. Holzapfel: Nonlinear Solid Mechanics: A Continuum Approach for Engineering. Wiley, 2000, ISBN 978-0-471-82319-3.
- J. E. Marsden und J. R. Hughes: Mathematical Foundations of Elasticity. Prentice Hall, 1983, ISBN 978-0-486-67865-8.
- Paul Newton, Philip Holmes (Hrsg.): Geometry, Mechanics and Dynamics. Springer, 2002, ISBN 978-0-387-95518-6.
- M. Silhavy: The Mechanics and Thermodynamics of Continuous Media. Springer, 1997, ISBN 978-3-540-58378-3.