Nachklassisches Recht

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Das nachklassische Recht, das teilweise auch als epiklassisches Recht bezeichnet wird, steht im rechtshistorischen Zusammenhang für eine Epoche des römischen Privatrechts, die der klassischen Rechtswissenschaft der Zeit des frühen und mittleren Prinzipats folgte. Geprägt war es von der Verflachung der Rechtskultur, der Reichsteilung in Ost und West, wobei Westrom in der Zeit noch unterging, und ersten sozialen Komponenten in der Rechtssetzung durch die Wirkmacht des Christentums.

Eine Trennlinie lässt sich mit dem Jahr 235 ziehen, als im Römischen Reich mit dem Tod des letzten Severers Severus Alexander die sogenannten Soldatenkaiser die Macht übernahmen und die Reichskrise des 3. Jahrhunderts begann. Das nachklassische Recht wird zumeist als erschöpft und unkreativ rezipiert, was durch einen allgemeinen kulturellen Abschwung bedingt war. Dieser war eingebettet in politisch sehr angespannte Zeiten für das Imperium, da häufige gewaltsame Machtwechsel Rom im Inneren erschütterten und erhebliche Gefahren, insbesondere durch das neupersische Sassanidenreich, von außen erwuchsen. Auch Diokletians Versuch, nach der erfolgreichen Stabilisierung der politischen Ordnung die klassische Tradition des Rechts zu bewahren, scheiterte. Ein Staat, der alle Rechtsschöpfung unter kaiserlichen Vorbehalt stellte und die rechtsanwendenden Organe lediglich als unselbstständige Beamte duldete, konnte kein Gewährsträger für das Wiederaufleben der Klassik sein.

Seit dem 5. Jahrhundert gab es Kodifikationsbestrebungen, was verdeutlicht, dass die Kaiser vermehrt Einfluss auf das Recht nehmen wollten. Im 6. Jahrhundert entstanden dann die justinianischen Kompilationen, der Corpus iuris, der als das bedeutendste Rechtswerk der Spätantike gilt. Das Werk verstand sich als Renaissance des klassischen Rechts, als klassizistische Umkehr. Gleichzeitig sollte es Recht eigenständig weiterentwickeln. Nachklassisches Recht bestand in regionalen Rechtsordnungen partikular fort.

Entgegen den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts besteht in der gegenwärtigen Forschung die Auffassung, dass das nachklassische Recht weniger Unterschiede zum klassischen Recht aufweist als in der früheren Rezeption behauptet. Bis heute als Vulgarrecht negativ konnotiert, wird den Entwicklungen des Privatrechts in der Nachklassik immerhin gewisse Kontinuität bescheinigt. Gleichzeitig ergeht jedoch der Hinweis, dass die Veränderungen im klassischen Recht regelmäßig bereits angelegt gewesen seien. Auffallend ist zudem, dass die nachklassische Zeit durch ein publizistisches Zurücktreten der Autoren geprägt war. Indem neue juristische Publikationen früheren Autoren als Pseudepigraphien zugeschrieben wurden, sollte suggeriert werden, dass der klassische Rechtskulturbetrieb nach wie vor intakt sei. Tatsächlich hatte das neue Wertesystem der Spätantike eine Verlagerung des Gewichts von der Rechtswissenschaft auf die absolutistisch geprägte Rechtsprechung und die Gesetzgebung der Kaiser mit sich gebracht.

Anknüpfung an das Klassische Recht

Die klassische Jurisprudenz steht gemeinhin als Inbegriff für die Blütezeit der römischen Privatrechtswissenschaft. Dazu trug bei, dass die Rechtslehre und die Gerichtsgewalt großen Einfluss aufeinander nahmen. Sie verschränkten sich in einer Weise, dass daraus Institutionen wie das prätorische Rechtsschutzprogramm (edictum perpetuum) oder das Respondierrecht (ius respondendi) entstehen konnten. Auf wissenschaftlicher Ebene wurde leidenschaftlich und widerstreitend diskutiert, was im ius controversum der sabinianischen und prokulianischen Rechtszentren seinen Niederschlag fand.[1] Das Gerichtswesen wiederum war seit der Zeit der Republik über die rechtsgestaltende Arbeitsweise der Prätoren definiert, die dem Prozess Schliff gab und der Funktion zu hohem Ansehen verhalf,[2][3] wenngleich deren Bedeutung in der Kaiserzeit nachließ, weil der Kaiser die Kompetenz zunehmend korripierte.

In der Wissenschaft entstanden umfangreiche Schriften, Lehrbücher, Gutachtensammlungen und Kommentare.[4] Diese waren mit großen Namen verknüpft, wie Labeo, Masurius Sabinus in der Frühklassik, Iulian, Celsus in der Hochklassik und Papinian, Ulpian sowie Paulus aus der Spätklassik. Deren aller Strahlkraft wirkt bis in die Gegenwart,[5] denn viele Voraussetzungen für die heutigen juristischen Methodenlehren und differenzierten begrifflichen Strukturen wurden in dieser Zeit geschaffen.

Allgemeine Kennzeichnung

Demgegenüber flachte das nachklassische Recht in der Folgezeit deutlich ab. Franz Wieacker und Detlef Liebs bezeichneten die Zeit auch als Epiklassik.[6] Das Recht wurde deutlich vereinfacht und die von den Klassikern sorgfältig herausgearbeiteten Rechtsbegriffe wurden methodensynkretisch verschmolzen, oft preisgegeben. Die einst scharfen Differenzierungen überforderten den zunehmend entwöhnten Rechtsalltag, folglich blieben juristische Auseinandersetzungen aus. Recht vermochte sich nicht mehr weiterzuentwickeln, weil das Rechtserbe mangelhaft auseinandergesetzt wurde.[7] Die Veränderungen verlagerten sich vornehmlich auf die verfassungs- und verwaltungsrechtliche Ebene, denn die Konzentration galt vornehmlich einem absolutistischen Staatsaufbau, der es erforderlich machte, die Gerichtsverfassung und die Prozessordnung umzugestalten.

Mit der Reichsteilung im späten 4. Jahrhundert schied sich die Rechtsentwicklung dann in zwei Stränge, einen östlichen und einen westlichen. Diokletian hatte die beiden verschiedenen Entwicklungswege indirekt vorgezeichnet, als er die Tetrarchie zur Vermeidung herrschaftlicher Vakua eingeführt hatte. Beide Reichsteile vereinfachten das bestehende Recht zu oberflächlichen Ordnungen in weitgehend parallel verlaufenden Prozessen. Namentlich die Kodifikationen lauteten gleich, wie der Codex Theodosianus zeigt. Gestört wurde dieser annähernde Gleichschritt erst, als die Gesetzgebung im untergehenden weströmischen Gebiet 476 endete, während der Osten diese staatstragende Funktion lebhaft beibehielt. Im Westen des Reichs wirkte der Bestand des römischen Rechts insoweit fort, als er von den germanischen Nachfolgestaaten als Kulturgut aufgenommen wurde (leges Barbarorum).

Anders verhielt es sich im Osten des Reiches, wo eine Renaissance des klassischen Rechts („Klassizismus“) zu beobachten war, besonders vermittelt durch die im 5. Jahrhundert erblühende Rechtsschule von Beirut. Zum Durchbruch in der Rechtsbildung und in der juristischen Praxis gelangte der „Klassizismus“ allerdings erst mit den iustinianischen Kompilationen. Diese rekurrierten auf den Fundus des hergebrachten materiellen und formellen klassischen Rechts, den durch dieses Recht beeinflussten Kaiserkonstitutionen der früh- und mittelkaiserlichen Zeit und den für die Gestaltung der zukünftigen Lebensumstände gedachten Konstitutionen Iustinians, den Novellae.

Rechtliche Veränderungen

Kaiserliche Rechtsprechung

Die auffälligste Veränderung brachte die Verlagerung der Kompetenz für die Rechtsprechung von der Rechtswissenschaft zum Kaiser mit sich. Von nun an oblag dem Kaiser das Privileg, „Recht zu sprechen“. Der Kaiser verstand sich nicht mehr als Erster unter gleichen, als Anführer (princeps) einer bürgerlichen Volksgemeinschaft, er forderte stattdessen ein, Herr (dominus) zu sein, Herrscher mit Absolutheitsanspruch und rechtlicher Alleindeutungshoheit.[8][9] Die einst lebhaften rechtlichen Diskussionen erlahmten und der Einfluss auf Verwaltungsapparat und Gerichtswesen verflüchtigte sich. Gleichwohl beschieden die ausstehenden Bürgeranfragen namhafte spätklassische Juristen, Ulpian und Papinian. Eingebunden in den kaiserlichen Beamtenapparat, wirkten sie jedoch lediglich als Kanzleileiter der Hoheit. Wichtige Entscheidungen, so etwa Dekrete und Reskripte, erließ der Kaiser hingegen höchstselbst. Die aktiv prozesslegitimierten Prätoren waren an dessen allgemeinverbindliche Entscheidungen im Verfahrensweg ebenso gebunden wie die bürgerliche Gesellschaft, für die die Gesetze im Vollzug galten. „Rechtsliteratur“ der mittlerweile anonym auftretenden Juristen bestand nurmehr darin, die kaiserlichen Entscheidungen zusammenzustellen, nicht mehr aber darin, selbst Rechtsliteratur zu verfassen und damit zum Prozesswesen beizutragen und Einfluss auszuüben.

Erheblichen Reformgeist im Bereich der gesetzgebenden Rechtsgestaltung entwickelte Diokletian. Aus seiner Sicht überkommene Rechtsschichtensysteme gab er schlicht auf, so die einst bedeutende Unterscheidung der iura honorarium und gentium, die noch aus republikanischer Zeit herrührten.[10] Er schuf ein einheitliches ius civile. Aufgrund der Bedeutung der Kaiserkonstitutionen sammelten die Juristen auf seine Veranlassung hin alle verfügbaren Reskripte ein, um deren Verbindlichkeit zu verstetigen. Um die Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert entstanden aus den Ansammlungen die wirkmächtigen Privatgesetze des Codex Gregorianus und folgend des Codex Hermogenianus. Zusammen mit Teilbeständen der klassischen Juristenschriften wurden sie in wiederum andere Sammelwerke eingebunden. Unter Anweisung Konstantins veröffentlichten die Kanzleien in der Wendezeit die Fragmenta Vaticana. In dieses Sammelwerk strahlten erstmals christliche Werte ein. Aus theodosianischer Zeit stammt das erste alttestamentarisch-römische Synoptikum der Mosaicarum et Romanarum legum collatio. Das Christentum war bereits Staatsreligion geworden.

Ein persönliches kaiserliches Gesetzeswerk war dann der Codex Theodosianus, ein ost-/weströmisches Gemeinschaftswerk zur Erfassung bisheriger wie aktueller Maßnahmen. Auch an dieses zentral bedeutsame Werk schlossen sich wieder Privatschriften an. Vornehmlich zu nennen sind die beiden (mutmaßlich) gallischen Sammlungen der Consultatio,[11] die diokletianisches Gedankengut in die posttheodosianische Rechtswirklichkeit übertrug und die Constitutiones,[12] die wohl Kirchenrecht zum Gegenstand hatten. Ebenso entstanden die leges novellae,[13] die wie die meisten posttheodosianischen Werke in die Lex Romana Visigothorum einflossen. Parallel erhob Valentinian III. die Spätklassiker Gaius, Papinian, Ulpian, Paulus und Modestin mit dem Zitiergesetz von 426 zu unumstößlichen Autoritäten („Zitierjuristen“). Deren Rechtsschriften stattete er mit normativer Wirkung aus. Für die Urteilsfindung ausschlaggebend war bei komplizierteren Rechtsfragen die Mehrheit der abgegebenen Stimmen der fünf. Bei Pattsituationen gab die Stimme Papinians den Ausschlag. Aus Vereinfachungsgründen wurde das klassische Schrifttum für das Zitiergesetz auf die Repräsentanten der Spätantike kapriziert.

Vulgarisierung des materiellen Rechts

Die Rechtskerne wurden trivialisiert. Weit weniger als das klassische Recht, beabsichtigte das nachklassische Recht Rechtsfragen zum Sachenrecht zu schützen. Eigentum und Besitz wurden nicht mehr präzise auseinandergehalten. Eigentum wurde häufig nicht mehr als absolute Rechtsposition an einer beweglichen Sache oder Liegenschaft verstanden, stattdessen verständigte man sich auf die individuelle Befugnis zu derer Nutzung.[14] Ebenso galt das für derivative possessive Rechtspositionen, so beschränkt dingliche Rechte (Dienstbarkeiten).[15] Durch das Aufkommen des Rechtsinstituts der (unbenannten) Reallast wurden Eigentümer aus Grundstücksbelastungen gar zur Vornahme von Handlungen verpflichtet. Das einst segmentierte Sachenrecht vereinfachte sich aber nicht nur durch indifferente Anwendung, auch begrifflich wurde es auf einen basalen gemeinsamen Nenner gebracht, denn es gab nur noch einen Eigentumsbegriff. Die einst aufwändige Verkörperung des Rechtsakts der Eigentumsübertragung im sakral-formalen Verfahren wurde vollständig aufgegeben. Förmlich blieben die Beweisregeln, soweit sie bestanden, oder wurden es, da sie auch der staatlichen Steuererungshoheit dienten.[16]

Viele Rechtseinrichtungen versanken, so die auf sprachliche Abgabe von Willenserklärungen gerichteten Verbalkontrakte (Stipulationen), zu Beweiszwecken allein betont wurde das Schriftformgebot. Auch die Ersitzung (usucapio) ging unter. An deren Stelle setzten sich Verjährungsregelungen für Herausgabeansprüche (longi temporis praescriptio). Die seit der Republik eingeführte Herausgabeklage des Typs der actio Publicana obsoletierte sich, da zwischen dinglichen und persönlichen Ansprüchen kaum mehr unterschieden wurde und Trennschärfe zwischen Tatbestand und Beweisregeln im Prozessrecht nicht mehr bestand.[16]

Durchaus aber gab es wegweisende Fortschritte. Feststellbar ist dies im Schuldrecht, so beispielsweise im Bereich der Vertragsfreiheit und des Stellvertretungsrechts. Heute kennt die moderne Rechtsordnung des bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den sogenannten Typenzwang nur noch im Sachenrecht. Eingeleitet wurde dies in Rom, wo Typenschemen noch für das obligatorische Recht galten, nun aber aufgegeben wurden. Die Nachklassik eliminierte diese Einengung des Vertragswesens aus Praxisgründen, was als grundlegender Fortschritt hin zur Privatautonomie gewertet werden darf.[17]

Modernisierung des Prozessrechts

Das zivile Prozesswesen durchlief bis zur Nachklassik drei Phasen. Dem archaischen Legisaktionenverfahren (Spruchformelprinzip), abgeschafft und ersetzt noch während der Republik durch die prätorische Schöpfung des Formularprozesses (mit Prozessprogramm),[18] folgte letztlich der von nun an von Amts wegen zu führende Kognitionsprozess.[19] Die einst verfahrensgeteilte, aktionenrechtliche Denkweise machte – nach ersten Vorstößen bereits unter Augustus (cognitio extra ordinem) – einem einheitlichen Verfahren Platz, bei welchem actiones und exceptiones als materiell-rechtliche Ansprüche und Einreden wiederkehrten.[20]

Das in zwei Verfahrensschritte aufgespaltete Gerichtsverfahren, einem zur rechtlichen Beurteilung durch den Prätor, einem zur Sachverhaltsaufklärung und anschließender Urteilsfindung vor den Geschworenen, wurde beim Prätor zusammengelegt. Die Alleinzuständigkeit des Gerichtsmagistraten hatte den Vorteil, dass der Rechtsfall aus einer Hand entschieden werden konnte und nebenbei ein wachsendes pragmatisches Bedürfnis der Gesellschaft befriedigt wurde. Das Anliegen bestand darin, dass den zahlreichen unterlaufenen Irrtümern bei der Auswahl der korrekten Spruchformel entgegengewirkt würde; Problem war stets, dass die Spruchformel zur Prozesseröffnung bereits feststehen musste und der Prozess bei Sachverhaltsklärung aus formalen Gründen scheiterte. Inhaltlich verwandelten sich actio und exceptio vom reinen Verfahrenstyp zur materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage beziehungsweise zu einem effizienten Verteidigungsmittel.[19]

Nachdem im Rahmen von zivilrechtlichen Formularprozessen lediglich auf Geldleistungen verurteilt wurde und auch gegebenenfalls nachziehende Insolvenzverfahren eine Gläubigerbefriedigung nur auf Ebene von Geldleistungen vorsah, brachte der Kognitionsprozess – ebenfalls aus einem praktischen Bedürfnis heraus – den Herausgabeanspruch hervor. Durchsetzbare, mithin nicht einredebehaftete, Herausgabeansprüche konnten fortan selbstständig vollstreckt werden („Naturalvollstreckung“). Der Wirtschaftsverkehr pochte auf dieses Verlangen, weil obligatorische Forderungen aufgrund von Hyperinflation bisweilen enorm entwertet wurden.[21] Mit den kaiserlichen Gegensteuerungsmaßnahmen konnte dem Kontrollverlust über die Märkte lediglich insuffizient begegnet werden, Vermögensschäden beim Gläubiger waren damit programmiert. Herausgabeansprüche dienten somit dem Gläubigerschutz.

Byzantinische Kodifikation und germanische Gesetzgebung

Einen erheblichen Einfluss hatte das nachklassische Vulgarrecht auf die Rechtsentwicklung der auf den Territorien des weströmischen Reiches siedelnden Germanen. Zwar wurde unter Iustinian I. in Ostrom das einst hochkomplexe klassische römische Recht in einer beispiellos großen Kodifizierungsoffensive zusammengefasst und dabei auf die aktuellen Lebensumstände der Zeit angeglichen und für Verständniszwecke radikal verkürzt. Alle bis zum 6. Jahrhundert verfügbaren Quellen wurden dafür zusammengetragen. Iustinian wollte damit wieder am klassischen Recht anschließen. Kulturell wirkte auf die iustinianische Epoche verstärkt der Hellenismus ein. Dessen philosophische Einflussnahme war bereits zu Zeiten der Republik auf die römischen Bildungs- und Praxiswerte deutlich geworden, so in den Sparten Rhetorik, Rechtslogik und Urkundswesen. Die Einflüsse blieben jedoch ungebrochen bestehen. In sittlicher Hinsicht bestand ein mittlerweile enger Kontext zum Christentum und eine nachklassisch-christliche Rechtsethik bildete sich heraus.

Die Simplifizierung des Rechts für Praxiszwecke erging aufgrund der germanischen Rechtsbräuche und der vereinfachenden Systematik des nachklassischen Rechts. Geschaffen wurde daraus das Corpus iuris civilis (CIC), das sich auf einen Bruchteil des ursprünglichen Rechtsstoffs beschränkte. Im westlichen Teil des ehemaligen Römischen Reiches blieb das CIC noch eine gewisse Zeit bekannt. Dem Corpus fehlte nach der Völkerwanderung aber die notwendige Explikation durch sachkundige Juristen, auch fanden die Gesetzestexte nicht mehr den entscheidenden Rückhalt, weshalb die germanischen Herrscher im Westen unter Einbezug ihrer Rechtsvorstellungen eigene Gesetze erließen. Letztere basierten eher auf dem (älteren) Codex Theodosianus von 438 als auf dem Codex Iustinianus. Und so schufen sie Werke, die einige Abweichungen zu ihren Vorbildern aufwiesen. Diese Werke waren Kodifikationen wie das Edictum Theoderici, der Codex Euricianus (Westgotenreich), die Lex Romana Visigotorum (siehe auch Breviarium Alaricianum des Westgotenkönigs Alarich II.) und die Lex Romana Burgundionum.

Diese Werke beruhten in der Hauptsache auf rezipiertem römischen Recht und nicht etwa – wie noch von der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts angenommen – auf originärem germanischen Recht. Grundlage der germanischen Gesetzgebung waren die verfügbaren kaiserlichen Entscheidungen der Codices. Da für Praxiszwecke immer wieder Interpolationen der klassischen Rechtssätze geschaffen wurden und Florilegien, gingen auch deren Inhalte in die Gesetzbücher ergänzend ein, so die aus den gaianischen Institutionen ausgezogenen Epitome, oder die pseudopaulinischen Sentenzen.

Bereits die Römer hatten sich mit den Mauren zu einer Zeit konfrontiert gesehen, just als der weströmische Reichsteil faktisch zerfiel. Nun mussten sich auch die schlecht vorbereiteten Westgoten im frühen 8. Jahrhundert geschlagen geben, nachdem die maurisch-arabische Invasion die iberische Halbinsel erfolgreich ins Visier nahm. Das westgotische Recht hingegen, die lex Visigothorum, überstand den anschließenden Untergang des christlichen Reiches, indem sie in die spanischen Stadtrechte (fueros) einging. Da auch der Süden Frankreichs unter dem Einfluss der lex blieb, verstetigte sich dort die Tradition des kodifizierten nachklassischen Rechts (droit écrit), während Nord- und Mittelfrankreich gewohnheitsrechtlich geprägt blieben.

Literatur

  • Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 1 Rnr. 19–26.
  • Max Kaser: Das römische Privatrecht. Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen. Verlag CH Beck. München 1975. ISBN 3-406-01429-1.
  • Wolfgang Kunkel/Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage. UTB, Köln/Wien 2005, § 10 (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian), S. 89 ff., 187–207 und 217 f.
  • Ernst Levy: Zum Wesen des weströmischen Vulgarrechts. In: Gesammelte Schriften I. (1963). S. 184 ff.
  • Ernst Levy: Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht. Band 2. Weimar, Böhlau 1956.
  • Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 150–162, 173, 175 f., 191 und 287.
  • Fritz Schulz: Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961, S. 335–420.
  • Franz Wieacker: Römische Rechtsgeschichte. Quellenkunde, Rechtsbildung, Jurisprudenz und Rechtsliteratur. Band 1: Einleitung, Quellenkunde, Frühzeit und Republik. Beck, München 1988 (Handbuch der Altertumswissenschaften: Abteilung 10, Teil 3, Bd. 1), ISBN 3-406-32987-X, S. 172 und 246 f.
  • Franz Wieacker: Vulgarismus und Klassizismus im Recht der Spätantike. (Schriftenreihe: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse / Stiftung Heinrich Lanz, Ausgabe 3). Verlag C. Winter, Heidelberg 1955.

Anmerkungen

  1. Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 35 f.
  2. Digesten 1,1,7,1: Zitierjurist Papinian äußerte, dass der Prätor das Zivilrecht zum öffentlichen Wohle unterstützt, ergänzt und korrigiert habe; Digesten 1,1,8: Bezeichnung des Prätors als custos iuris civilis (Hüter des Zivilrechts).
  3. Marie Theres Fögen: Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, S. 190–198.
  4. Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte. 14. Auflage, Köln 2005, S. 140–149.
  5. Max Kaser, Rolf Knütel: Römisches Privatrecht. 19. Auflage, München 2008, § 1 II b.
  6. Siehe die verwendete Literatur der beiden.
  7. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n. Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 283–287 (Zusammenfassung); W. E. Voß: Recht und Rhetorik in den Kaisergesetzen der Spätantike. Eine Untersuchung zum nachklassischen Kauf- und Übereignungsrecht, Frankfurt/Main, 1982, S. 31 f. (FN 107); Voß und Liebs wenden sich dabei gegen die als überholt empfundenen Grundauffassungen bei Max Kaser und Ernst Levy.
  8. Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 108–110.
  9. Vgl. etwa Franz Wieacker: Römische Rechtsgeschichte. Bd. 1, C.H. Beck, München 1988, § 25 III, S. 468 f. mit weiteren Nachweisen.
  10. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260-640 n.Chr.), Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge, Band 8, Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 134–137.
  11. Martin Schanz, Carl Hosius: Geschichte der römischen Literatur. Vierter Teil, 2. Band: Die Literatur des fünften und sechsten Jahrhunderts. C. H. Beck, München 1920, ISBN 3-406-01398-8, S. 175.
  12. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n. Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 175 f.
  13. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260-640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 188–190.
  14. Christoph A. Kern: Typizität als Strukturprinzip des Privatrechts. Ein Beitrag zur Standardisierung übertragbarer Güter. Habilitationsschrift. Jus privatum 170. Mohr Siebeck, Tübingen 2013. ISBN 978-3-16-151724-2. S. 61.
  15. Max Kaser: Eigentum und Besitz im älteren römischen Recht. Forschungen zum römischen Recht. Band 1 Teil I. Weimar 1943. 2. Auflage Köln-Wien 1956; Max Kaser: Das römische Privatrecht. Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen. Verlag CH Beck. München 1975. ISBN 3-406-01429-1. S. 248.
  16. a b Max Kaser: Römisches Privatrecht. Kurzlehrbücher für das juristische Studium. München 1960. Ab der 16. Auflage 1992 fortgeführt von Rolf Knütel. 17. Auflage ISBN 3-406-41796-5. 18. Auflage ISBN 3-406-53886-X. S. 240.
  17. Susanne Hähnchen: Rechtsgeschichte: Von der Römischen Antike bis zur Neuzeit. 4. Auflage, Verlag C.F. Müller, Heidelberg 2011. ISBN=978-3811498426. Rnr. 209 f.
  18. Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. in: Forschungen zum Römischen Recht. Band 36. Verlag Böhlau, Wien, Köln, Graz, 1986. ISBN 3-205-05001-0. S. 98.
  19. a b Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 1 Rnr. 22.
  20. Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 386–388.
  21. Der der Schule des Neo-Primitivismus zugehörige Althistoriker Moses I. Finley warnt in seinem vielbeachteten Werk: Die antike Wirtschaft dtv, München 1977 (engl.: The Ancient Economy 1973.) jedoch ausdrücklich davor, die Inflation des 3./4. Jahrhunderts funktionell mit der der Gegenwart zu vergleichen. So gab es weder Papier- noch Kreditgeld, auf das sich Forderungen hätten beziehen können (S. 235–237).